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"Erdogan macht mich nicht mundtot"

Kürsat Akyol25. März 2016

Wegen kritischer Berichte drohen den türkischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül lebenslange Haftstrafen. Vor dem ersten Verhandlungstag sprach Dündar im DW-Interview über den Prozess gegen ihn und seinen Kollegen.

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Can Dündar Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet (Foto: DW/Kürsat Akyol)
Bild: DW/K. Akyol

Der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und sein Kollege Erdem Gül haben im vergangenen Mai einen Bericht veröffentlicht, der belegt, dass mit den Lastwagen des türkischen Geheimdienstes MIT Waffen nach Syrien geliefert wurden. Wegen des Berichtes fordert die Staatsanwaltschaft für die beiden Journalisten lebenslange Haftstrafen. Ihnen wird vorgeworfen, den Umsturz der Regierung zu planen, Staatsgeheimnisse zu verraten und Terrorgruppen zu unterstützen. Ankläger sind Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der MIT. Dündar und Gül saßen drei Monate in Untersuchungshaft und wurden vor kurzem aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichts freigelassen. Doch das Verfahren gegen sie beginnt erst jetzt. Im Interview mit der DW erzählt Dündar, warum er keine Angst hat und warum er von Europa Unterstützung erwartet.

DW: Staatspräsident Erdogan hat oft über Sie gesprochen. Nach der Veröffentlichung des Berichtes hat er gesagt, dass Sie dafür "einen hohen Preis" zahlen werden. Denken Sie, dass das ein Eingriff in die Justiz war?

Can Dündar: Natürlich, was soll er noch sagen? Er hat auch in Bezug auf die Freilassungsentscheidung des Verfassungsgerichtes gesagt: "Ich erkenne die Entscheidung nicht an, ich werde mich nicht daran orientieren und das Gericht sollte es auch nicht tun." Was verstehen Sie unter diesen Aussagen? Das ist ein direkter Eingriff in die Angelegenheiten der Justiz.

Sie waren drei Monate in Untersuchungshaft, bevor das Verfahren begann. Wie bewerten Sie das?

Das war Erdogans Rachsucht. Er betrachtet jede Form von Widerstand als Aufstand gegen sich. Er wollte zwei Ziele erreichen: Er wollte mich bestrafen und wollte diejenigen einschüchtern, die dasselbe in der Zukunft wagen würden. Ich weiß nicht, wie es mit dem zweiten ist, aber sein erstes Ziel hat er nicht erreicht. Er konnte mich nicht mundtot machen. Ich hoffe, dass er sein zweites Ziel auch nicht erreicht. Aber leider sehe ich, dass diese Angst den Stift vieler meiner Kollegen zum Schweigen gebracht hat.

Wie wird das Verfahren enden?

Wenn die Türkei ein Rechtsstaat wäre, sollte ich am ersten Verhandlungstag freigelassen werden. Das Verfassungsgericht hat bestätigt, dass die Veröffentlichung keineswegs als Terrorakt, sondern als journalistische Arbeit zu bewerten sei. Eigentlich macht diese Entscheidung den Prozess zunichte. Aber wenn ein Staatspräsident den Richtern Anordnungen erteilt, dann kann man sich niemals sicher sein, welche Urteile gefällt werden. Deshalb ist es schon möglich, dass wir wieder festgenommen werden.

Can Dündar (Foto: Imago)
Can Dündar Chefredakteur der Tageszeitung CumhuriyetBild: Imago

Haben Sie Angst?

Nein, Angst haben wir längst überwunden. Wenn Sie Angst haben, können Sie in der Türkei nicht als Journalist arbeiten. Wir versuchen die Situation realistisch zu beobachten. Wenn man es realistisch betrachtet, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent, dass wir wieder festgenommen werden.

Was sollten die Journalisten in der Türkei für die Pressefreiheit tun?

Natürlich sollten sie Widerstand leisten, sie sollten sich solidarisieren, organisieren und alternative Plattformen suchen. Das Wichtigste ist, dass sie damit beginnen, die Zukunft aufzubauen, das heißt die Ära nach Erdogan, damit die Türkei nicht wieder in dieselbe Spirale fällt. Sie sollten damit anfangen, die Angst abzulegen. Momentan herrscht eine große Angst. Durch diese Angst verlieren die Menschen nicht nur den Beruf und die Arbeit, sondern auch die Würde und das Gewissen. Doch diese Angst lohnt sich nicht, ich sage es als jemand der schon im Gefängnis war. Wenn ich meinen Stift verloren hätte, hätte ich viel mehr gelitten, als die Freiheit zu verlieren.

Was erwarten Sie von Europa?

Ich kann mich an eine Szene erinnern. Als ich in Haft war, lief der Fernseher. Ein Journalist, der für eine deutsche Agentur arbeitet, hat Davutoglu gefragt, ob es in der Türkei inhaftierte Journalisten gäbe. Seine Antwort war: "Keine." Bundeskanzlerin Merkel war dabei. Und ich habe das, als inhaftierter Journalist, in der Zelle gesehen. Es war schon witzig, wie Merkel ihm zugenickt hat.

Europa verzichtet auf seine historischen Werte, um seine alttäglichen Interessen durchzusetzen. Europa denkt, wenn wir Geld geben und dafür sorgen, dass Flüchtlingslager in der Türkei errichtet werden, werden wir den Flüchtlingsdruck los. Dann kann Erdogan in der Türkei tun, was er will. Aber Europa muss das sehen: Nach einer Weile wird eine politische Flüchtlingswelle von der Türkei aus beginnen und Europa wird auch das noch bewältigen müssen. Mit solch einer Methode kann man keine Probleme lösen, weder die in der Türkei noch die des Flüchtlingsandrangs.

Aber was erwarten Sie im Konkreten?

Wir, also die Menschen, die an die Demokratie, Pressefreiheit, Menschenrechte, Säkularismus und die Republik glauben, sagen von Anfang an, dass die Türkei ein Teil von Europa sein soll. Dabei sagt Erdogan von Anfang an, dass die Demokratie ein Zug ist, aus dem man aussteigen kann, wenn man will. Wenn Europa nicht uns, sondern Erdogan unterstützt, wird sowohl die Türkei als auch Europa verlieren. Deshalb sollte Europa die Menschen vorziehen, die an Europa und seine Werte glauben.

Can Dündar ist ein türkischer Journalist, Dokumentarfilmer und Buchautor. Er ist Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung Cumhuriyet. 2015 wurde er der Spionage und des Hochverrats angeklagt.

Das Gespräch führte Kürsat Akyol.