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Erdogan gegen Böhmermann

Christoph Hasselbach11. April 2016

Der türkische Präsident hat Strafanzeige gegen den Satiriker Jan Böhmermann erstattet. Dessen Spottgedicht ist nicht nur eine Frage des Geschmacks, es hat auch eine rechtliche - und vor allem eine politische Dimension.

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Bildkombo Jan Böhmermann und Recep Tayyip Erdogan (Foto: dpa)
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) und Fernsehmoderator Jan BöhmermannBild: picture-alliance/dpa/R. Ghement

Die Bundesregierung hat wegen eines Spottgedichts auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine diplomatische Krise am Hals. Sie muss jetzt prüfen, ob sie ein Strafverfahren gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann zulässt, wie es die Türkei wünscht. Der Strafantrag Erdogans ist inzwischen bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen, wie ein Sprecher der Behörde am Montagabend mitteilte.

Böhmermann hatte am 31. März in der Satiresendung "Neo Magazin Royale" ein von ihm selbst als "Schmähkritik" bezeichnetes Gedicht über Erdogan rezitiert, in dem es vor wildesten persönlichen Beleidigungen und Kraftausdrücken nur so wimmelt. Böhmermann selbst hatte aber von vornherein gesagt, so etwas sei in Deutschland nicht erlaubt.

Das Gedicht hatte aber eine Vorgeschichte: Die Türkei hatte den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt, nachdem ein deutlich harmloserer Satirebeitrag im NDR-Fernsehmagazin "extra 3" die türkische Menschenrechtslage aufs Korn genommen hatte. Böhmermann wollte nun Erdogan nach eigenen Worten einmal vorführen, wann die Grenzen der Satirefreiheit in Deutschland überschritten seien.

Türkei Istanbul Mann liest Zaman Zeitung (Foto: picture-alliance/dpa/D. Toprak)
Pressefreiheit? Im März stellte die türkische Regierung die Zeitung "Zaman" unter staatliche ZwangsaufsichtBild: picture-alliance/dpa/D. Toprak

Die Bundesregierung kann ein Verfahren zulassen oder verweigern

Doch für die Bundeskanzlerin hörte hier der Spaß auf. Denn Erdogan gilt als unverzichtbarer Partner der Europäischen Union, um den Flüchtlingsstrom nach Europa möglichst gering zu halten. Sie hat Böhmermanns Gedicht bereits als "einen bewusst verletzenden Text" bezeichnet. Doch falls sie mit dieser an sich überflüssigen Bemerkung Erdogan hatte versöhnen wollen, verfehlte sie dieses Ziel. Erdogan verlangt die Strafverfolgung des Journalisten.

Zwar ist das in einem Rechtsstaat Sache von Gerichten. Doch die Politik spielt in diesem Fall schon eine Rolle. Es geht um den Paragraphen 103 des Strafgesetzbuches, der die "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" behandelt. "Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt [...] beleidigt, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren [...] bestraft", heißt es dort. Voraussetzung dafür, dass die Staatsanwaltschaft tätig wird, ist aber, dass die Bundesregierung zustimmt.

An dieser Rolle der Politik scheiden sich nun die Geister. Lässt sich die Politik erpressen und relativiert sie die Pressefreiheit? Matthias Döpfner, Chef des Medienhauses Springer, verteidigt das Gedicht als "Kunstwerk". Der beleidigende Charakter sei ja gerade "der Sinn der Sache" gewesen, so Döpfner in einem offenen Brief in der "Welt am Sonntag". Die Regierung mache einen "Kotau" vor Erdogan. Hubertus Knabe, Berliner Historiker und Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, geht im "Handelsblatt" noch einen Schritt weiter und warnt die Bundesregierung: "Ich finde es höchst problematisch, wenn sie strafrechtliche Ermittlungen gegen den Satiriker befördert oder gar initiiert. Das gibt es sonst nur in Diktaturen oder in Staaten, die auf dem Weg dorthin sind."

Geteilte Meinung

Doch sowohl in der Politik als auch unter Medienvertretern wird sehr konträr darüber diskutiert. So verteidigte die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zwar nicht das Gedicht selbst, das habe "sicherlich die Grenzen des guten Geschmacks verletzt". Doch die Politikerin ist auch Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbands, der als Stifter der Grimme-Preise Böhmermann am Freitag eine "besondere Ehrung" für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt verlieh. Böhmermann, so Kramp-Karrenbauer, habe sich um eine offene, mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt verdient gemacht, lobte sie. Eine Distanzierung sieht anders aus.

Gelassenheit empfiehlt auch der CDU-Innenpolitiker Ansgar Heveling. Im "Deutschlandfunk" sagte Heveling, die Kanzlerin stecke in einem "Dilemma". Doch wenn die Bundesregierung ein Verfahren zulasse, "bedeutet das ja noch lange nicht, dass dann ein Urteil gesprochen ist. Da werden Richter drüber urteilen. Das haben sie in der Vergangenheit beim Thema Schmähkritik übrigens sehr meinungsfreiheitsfreundlich getan."

Andererseits stellt sich auch nicht jeder Medienvertreter hinter Böhmermann. So warnte Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, zwar davor, die Satirefreiheit aufgrund diplomatischer Verstrickungen einzuschränken. Ein Strafverfahren gegen den Satiriker findet er aber "völlig in Ordnung". Böhmermann habe auf eine türkische Provokation "mit einer nicht minder instinktlosen Provokation" reagiert.

Schah Mohammed Reza beim Staatsbesuch 1967 in Deutschland (Foto: picture-alliance/Bildarchiv)
Der Schah von Persien fühlte sich beim Besuch 1967 in Deutschland von Demonstranten geschmähtBild: picture-alliance/Bildarchiv

Der Schah zog sein Verlangen zurück

Das letzte Mal, dass ein ausländisches Staatsoberhaupt eine solche Strafverfolgung verlangte, war 1967. Studenten hatten beim Staatsbesuch des Schahs von Persien Plakate mit der Aufschrift "Persien ein KZ" gezeigt. Doch die Bundesregierung drängte am Ende mit Erfolg den Schah zum Verzicht auf seine Forderung, nicht zuletzt, da die Ermittler argumentierten, man müsse sich dann auch mit den Zuständen in Persien befassen. Das zog offenbar.

Regierungssprecher Steffen Seibert wies am Montag den Verdacht von sich, die Lösung der Flüchtlingsfrage stehe im Zusammenhang damit, wie die Regierung in der Sache Böhmermann entscheiden werde. Und: "Die Grundwerte des Grundgesetzes sind unverhandelbar."

Doch der Druck aus Ankara dürfte nicht nachlassen. Die türkische Nachrichtenagantur Anadolu zitierte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin am Montag mit den Wortgen: "Diese Angriffe voller Beleidigungen und Grobheiten haben nichts mit Meinungs- und Pressefreiheit zu tun. Überall auf der Welt ist das eine Beleidigung und eine Straftat." Ankara werde jetzt "aufmerksam verfolgen", wie die Bundesregierung mit dem Fall umgehe.