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Er hat alles gut gemacht (Mk 7,37)

7. September 2012

Alles gut gemacht. Schön wär’s! Anerkennung ist Mangelware in unserer kritikfreudigen Gesellschaft. Das Wort zum Sonntag, für die katholische Kirche gesprochen von Hildegard König, möchte hier einen neuen Pfad legen.

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Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard König, ChemnitzBild: Hildegard König

Er hat alles gut gemacht. – Sie hat alles gut gemacht. – Wenn wir das doch auch sagen könnten! Aber wenig läuft derzeit gut, und die, die was machen müssten, machen nichts, oder nicht das Richtige und nichts wirklich gut. – So oder ähnlich fühlt sich die Krise an hier bei uns im Sommer des Jahres zweitausendundzwölf.

Er, sie hat alles gut gemacht. - Wann haben wir selbst zuletzt eine solche lobende Anerkennung erhalten? Vielleicht noch nie. Vielleicht nach irgendeiner Prüfung… und meist doch eher mit Einschränkung: ziemlich gut, recht ordentlich, dies und jenes ganz gut.

Und jetzt hören wir: Er hat alles gut gemacht. Das ist das anerkennende Urteil von Leuten, die mitbekommen haben, wie ein Mensch heil gemacht wurde. Wir finden die Szene im Evangelium dieses Sonntags geschildert, bei Markus im 7. Kapitel, in den Versen 31 bis 37: Man bringt einen behinderten Menschen, einen Taubstummen, zu Jesus, und er befreit ihn aus seiner Behinderung, indem er ihm Gehör und Stimme gibt. Die Umstehenden sind darüber ganz aus dem Häuschen. Schnell verbreitet sich die Nachricht vom Wunderheiler: Er hat alles gut gemacht.

Bei aller Begeisterung: Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Das hat er gut gemacht, hätte doch gereicht, wäre der Sache angemessener gewesen.

Ja, wenn es dem Markus um die Darstellung von Tatsachen gegangen wäre, dann wäre der Einwand wohl berechtigt. Aber die Heilung des Taubstummen ist eine Glaubensgeschichte, wie alle Geschichten der Bibel. Und sie spricht zu uns heutigen Hörerinnen und Hörern über das, was den frühesten Christen in ihrem Glauben und Vertrauen Gewissheit und ihrem Leben Halt gegeben hat. Und das war ihre tief in ihrer eigenen Geschichte verankerte Erfahrung: Er hat alles gut gemacht.

Und das sagen sie, obwohl sie vom elenden Ende des Jesus von Nazareth wissen, obwohl sie selbst in einer kritischen Zeit leben, fremdbeherrscht und ausgegrenzt in Palästina.

Er hat alles gut gemacht. – Das hört sich wie ein Resümee an. Das kann sagen, wer mit Abstand eine Geschichte, eine Entwicklung überblickt. Die Männer und Frauen damals hatten diesen Überblick; sie kennen die großen Erzählungen von der Sammlung Israels, von der Verheißung des Landes, von der Heimkehr aus dem Exil und vom Kommen des Messias, der ihnen Friede und Freiheit und ein unbehindertes, heiles Leben bringen wird.

Dass sie aber in einer friedlosen Welt und unter schwierigen Lebensumständen,  aus ihrer eigenen gebrochenen Existenz heraus zu einer solch umfassenden Anerkennung bereit sind: Er hat alles gut gemacht, das berührt mich sehr. Und ich frage mich, was es braucht, um das sagen zu können.

Nach dem Evangelium wenig: Jesus führt den behinderten Menschen beiseite, er berührt ihn und spricht ihn an: Effata – Öffne dich.

Vielleicht sollte ich selbst einmal beiseite treten und die Perspektive wechseln. Vielleicht muss auch ich mich einfach an meinen eigenen fühllosen und tauben Stellen berühren lassen und meine Sinne auftun. Vielleicht entdecke ich dann in meiner vielfach behinderten Lebensgeschichte und in meiner oft heillosen Umgebung Spuren von Heilung und Heilsein; Spuren, die mich jenem göttlichen Du näher bringen, das sich selbst als ICH BIN DA vorstellt und von uns begriffen werden will als FÜR UNS DA bis zuletzt.

Mag sein, dass ich dann immer noch weit weg bin von der Anerkennung:Er hat alles gut gemacht – Du hast alles gut gemacht. Aber ein neuer Pfad ist gelegt. Und wer weiß, in welche Freiräume, zu welchen ungehörten Worten und zu welchen ungeahnten Einsichten er mich noch führen wird.

Dr. Hildegard König  ist Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.