1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Entwicklungsländer im demographischen Wandel

6. Juli 2009

Auch die Bevölkerung der Entwicklungsländer wird immer älter: Eine erfreuliche Nachricht. Doch ähnlich wie in den Industrieländern entstehen dadurch auch Probleme. Markus Loewe zeigt Lösungsmöglichkeiten auf.

https://p.dw.com/p/IgO6
Symbolbild: Gastkolumne vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Bild: DW

Am Samstag (4.7.) war Weltbevölkerungstag – für viele Anlass, um über die jüngsten Projektionen der Vereinten Nationen zur Entwicklung der Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten nachzudenken (UNDESA: World Population Prospects: The 2008 Revision). Mit Recht wurde da gefragt, wie viele Einwohner die Erde eines Tags haben wird und ob die vorhandenen Ressourcen hierfür ausreichen; wie realistisch die in Kyoto vereinbarten Klimaziele in Anbetracht einer nochmals um drei, vier, fünf oder sechs Milliarden Menschen wachsenden Weltbevölkerung sind.

Bevölkerungsexplosion gebremst

Die Prognosen der Vereinten Nationen zeigen aber nicht nur, dass die Weltbevölkerung mindestens bis 2050 weiter wachsen und insbesondere der Anteil der in den Städten lebenden Menschen ansteigen wird. Sie zeigen auch, dass die Wachstumsrate der Weltbevölkerung ihren Höhepunkt überschritten hat, die Zahl der Erdbewohner also von Jahr zu Jahr immer langsamer wächst. Dies gilt natürlich nicht für alle Länder der Welt im gleichen Maße. In vielen afrikanischen Ländern ist das Bevölkerungswachstum nahezu ungebremst, während es in Südasien, Lateinamerika und vor allem Ostasien schon stark rückläufig ist, in Westeuropa bei null liegt und in Osteuropa schon in den negativen Bereich gegangen ist (dort schrumpft die Bevölkerung um bis zu einem halben Prozent pro Jahr).

So geht auch in den Entwicklungsländern die Zahl der Kinder pro Frau zurück. Allmählich werden sich auch dort die Menschen der Tatsache bewusst, dass eine bessere Hygiene, Medizin und Ernährungsversorgung einen höheren Anteil der Kinder überleben lässt, so dass Paare nicht mehr viele Kinder auf die Welt bringen müssen, wenn wenigstens zwei oder drei mit hoher Wahrscheinlichkeit überleben sollen. Zudem gibt es mittlerweile auch in einigen Entwicklungsländern Alterssicherungssysteme, so dass ältere Menschen dort nicht mehr vollständig von der Versorgung durch die eigenen Kinder abhängig sind.

Altersstrukturen im Wandel

Dass die Geburtenraten fast überall auf der Welt zurückgehen und die medizinische Versorgung immer besser wird, hat allerdings eine Auswirkung von hoher Brisanz, die bei der Betrachtung der Bevölkerungsprognosen oft übersehen wird. Dadurch ändert sich nämlich auch die Altersstruktur der Bevölkerung.

Zunächst treten Jahr für Jahr mit unveränderter Dynamik immer mehr junge Menschen auf den Arbeitsmarkt und suchen nach einer Erwerbstätigkeit, während die Zahl der Neugeborenen immer weniger ansteigt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen im Alter zwischen 15 und 60 Jahren, in dem man üblicherweise erwerbstätig ist, stärker wächst als die Gesamtbevölkerung. Denn die Zahl der Minderjährigen wächst nicht mehr so stark wie in den Jahren des höchsten Bevölkerungswachstums.

Für Länder, in denen stark in Produktionsanlagen, Bildung und Know-how investiert wird, ist diese Entwicklung gut. Diese Länder können ihren vielen Schulabgängern auch tatsächlich eine produktive Erwerbstätigkeit anbieten und so einen wachsenden Teil der Bevölkerung beschäftigen. Hinzu kommt, dass die Frauen, die immer weniger Kinder auf die Welt bringen, auch nicht mehr so viel Zeit mit deren Erziehung verbringen müssen und vermehrt erwerbstätig sein können. Und da die Familien immer weniger Kinder ernähren müssen, können sie mehr Geld sparen bzw. in eine bessere Bildung der Kinder investieren. Der schnelle wirtschaftliche Aufschwung von China und anderen ostasiatischen Ländern in den letzten Jahren geht mit auf diese Entwicklung zurück: Die Familien arbeiten mehr, sparen mehr und geben mehr für Bildung aus; und das von einer Generation auf die nächste vererbte Vermögen wird pro Kopf immer größer, weil es nicht mehr auf eine so große Zahl von Kindern verteilt werden muss. Die Gesellschaften wachsen also qualitativ statt quantitativ.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie der demographische Wandel sich auf den Arbeitsmarkt auswirkt

Problematisch ist die Entwicklung allerdings in Ländern, in denen nicht im erforderlichen Umfang in Bildung und Sachvermögen investiert wird, weil die politischen oder ökonomischen Rahmenbedingungen ausländischen Investoren zu unsicher sind und selbst inländische Kapitalbesitzer dieses lieber ins Ausland bringen, weil die Bildungssysteme schlecht sind und weil die Frauen, obwohl sie weniger Kinder großziehen, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. In diesen Ländern wächst nur die Zahl der männlichen Arbeitssuchenden; diese sind aber unzureichend auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes vorbereitet und es fehlen die Investitionen in Unternehmen, die die Arbeitssuchenden auch beschäftigen könnten.

Zu wenig Erwerbstätige

Obwohl also ein immer größerer Anteil der Bevölkerung erwerbsfähig ist, steigt die Zahl der tatsächlich erwerbstätigen Einwohner kaum an. Stattdessen verbreitet sich Unzufriedenheit unter der stetig wachsenden Zahl von arbeitslosen bzw. unterbeschäftigten jungen Männern. In den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, aber auch in einigen Ländern Lateinamerikas lässt sich dieses Phänomen gut beobachten.

In einer späteren Phase kommt dann auf die Entwicklungsländer wieder eine neue Herausforderung zu, die den Industrieländern nur allzu gut bekannt ist: Zwanzig bis dreißig Jahre nachdem die Geburtenraten nachgelassen haben, strömen dann nämlich auch weniger junge Menschen auf die Arbeitsmärkte. Die sinkenden Bevölkerungswachstumsraten wirken sich nun auch auf die Erwerbsbevölkerung aus. Zugleich wächst die Zahl derjenigen, die für eine Erwerbstätigkeit zu alt sind, weil die geburtenstarken Jahrgänge, ins Rentenalter kommen und weil die alten Menschen länger leben. Nun muss eine nur noch sehr langsam wachsende Zahl von Menschen im Erwerbsalter eine immer schneller wachsende Zahl von Alten versorgen. Ähnlich wie in den Industrieländern wird dies auch in den Entwicklungsländern sowohl den staatlichen Alterssicherungssystemen als auch den Familien zu schaffen machen. In China zeichnet sich dieses bereits heute sehr deutlich ab, weil dort der Übergang von hohen zu niedrigen Bevölkerungswachstumsraten wegen der Ein-Kind-Politik der Regierung besonders schnell ablief.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie sollen die Entwicklungsländer reagieren?

Im Unterschied zu den Industrieländern wird diese neue Herausforderung auf die Entwicklungsländer sehr viel plötzlicher und heftiger zukommen, weil auch der Rückgang der Geburtenraten dort schneller vonstatten ging. Sie sollten sich also rechtzeitig auf diese Herausforderung vorbereiten. Dies kann ihnen gelingen, wenn sie in den Zeiten des Übergangs, in denen ein besonders großer Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter zwischen 15 und 65 Jahren alt ist, Ersparnisse akkumulieren, die ihnen später zur Verfügung stehen, um den Anstieg des Anteils von Einwohnern im Rentenalter zu bewältigen. Sie sollten also die im Hinblick auf die Altersstruktur der Bevölkerung günstige Zeit, in der besonders viele Einwohner arbeiten, sparen und investieren können, nutzen, um die spätere besonders ungünstige Zeit des demographischen Übergangs gut zu bewältigen. Dann geht es ihnen möglicherweise besser als den Industrieländern heute, die vollkommen unvorbereitet mit den Konsequenzen einer alternden Bevölkerung zu kämpfen haben.

Porträt Dr. Loewe (Foto: DIE)
Dr. Markus LoeweBild: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik

Autor: Dr. Markus Loewe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Wettbewerbsfähigkeit und soziale Entwicklung“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.