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Entwicklung verschlafen?

Johannes Beck10. Februar 2002

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist zu seiner ersten Lateinamerika-Reise gestartet. Bei seinen Besuchen in Mexiko, Brasilien und Argentinien stehen Wirtschaftsfragen im Vordergrund.

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Zum ersten Mal nach Lateinamerika:<br>Bundeskanzler Gerhard SchröderBild: AP
"Warum haben sich deutsche Firmen in den vergangenen Jahren kaum an den Privatisierungen in Lateinamerika beteiligt?" Diese Frage wird mit Sicherheit oft gestellt werden, wenn Bundeskanzler Schröder, Wirtschaftsminister Werner Müller und 25 Unternehmer vom 10. bis 16. Februar durch Lateinamerika reisen.

Egal ob die Frage vom mexikanischen Präsidenten Vicente Fox Quesada, vom brasilianischen Staatsoberhaupt Fernando Henrique Cardoso oder in Argentinien von Präsident Eduardo Duhalde gestellt wird: In keiner der drei Reisestationen haben sich deutsche Unternehmen groß an den umfangreichen Privatisierungen der letzten Jahre beteiligt.

São Paulo größter deutscher Industriestandort weltweit

Die deutschen Direktinvestitionen in Lateinamerika sind nach Angaben der Dresdner Bank von sieben Milliarden Euro im Jahr 1990 auf 22 Milliarden Euro im Jahr 1999 zwar gestiegen. In erster Linie investieren die Deutschen aber weiter in traditionelle Bereiche wie Chemie, Maschinen- und Automobilbau. So ist die brasilianischen Stadt São Paulo inzwischen nach Angaben der deutsch-brasilianischen Handelskammer der größte Industriestandort deutscher Firmen weltweit - inklusive Deutschland!

Dennoch haben die deutschen Unternehmer die Privatisierungen der letzten Jahre verschlafen. Kein einziges der neu entstandenen privaten Telekommunikationsunternehmen in Lateinamerika ist von Firmen aus Deutschland gekauft worden. Auch im Energiebereich oder im Bankenwesen haben US-Amerikaner, Spanier, Portugiesen und Italiener die Deutschen weit hinter sich gelassen. Eine Erklärung könnte die unterschiedliche Investitionskultur sein. Beobachter weisen immer wieder darauf hin, dass deutsche Unternehmen zum Beispiel nicht so risikofreundlich wie die Amerikaner sind.

Gut gewählte Reiseziele

Doch zumindest was die Höhe der Direktinvestitionen betrifft, hat Schröder seine drei Reiseziele gut gewählt. Allein nach Brasilien floss 1999 mit sieben Milliarden Euro ein Drittel der gesamten Investitionen deutscher Unternehmen in Lateinamerika. Mexiko mit fünf und Argentinien mit zwei Milliarden Euro vereinigten zusammen ein weiteres Drittel auf sich.

Ohne Zwischenstopp in den Andenländern wie Kolumbien, Venezuela oder Peru fliegt Schröder direkt von Mexiko nach Brasilien. Deutsche Vertreter in der Andenregion fühlen sich schon seit längerem vernachlässigt. Tatsächlich investieren die deutschen Firmen kaum in die Andenregion. Beispielsweise floss 1999 nach Ecuador mit 70 Millionen Euro gerade einmal ein Dreihundertstel der deutschen Investitionen in Lateinamerika.

Argentinien, Deutschland und der IWF

Für die Krisen geplagte Regierung Argentiniens gibt es momentan neben Investitionen sicher noch ein wichtigeres Thema, dass sie mit dem deutschen Kanzler besprechen will. Die Regierung möchte als Hilfe gegen die Wirtschafts-Krise 15 bis 20 Milliarden US-Dollar Kredite vom Internationalen Währungsfonds IWF. Präsident Duhalde wird alles daran setzen, um Schröder von der Nachhaltigkeit des argentinischen Wirtschaftsprogramm zu überzeugen. Schließlich verfügt Deutschland zusammen mit den andern EU-Staaten über ein erhebliches Stimmrecht im IWF.

Schröder seinerseits wird sich bemühen, den Eindruck zu korrigieren, dass Lateinamerika aus dem Blickfeld der deutschen Politik geraten ist. So spielt die deutsche Politik derzeit bei der Friedenssuche im vom Bürgerkrieg geplagten Kolumbien keine Rolle. Die Prioritäten der deutsche Politik wurden auch klar aufgezeigt, als Schröder im August 2001 die bereits damals geplante Reise nach Lateinamerika kurzfristig verschoben hatte, um an einer Parlamentsdebatte über den Bundeswehr-Einsatz in Mazedonien teilzunehmen.

Wenn böse Zungen jetzt behaupten sollten, Schröder habe die Reise nur verschoben, um den brasilianischen Karneval mitzufeiern, so täuschen sie sich jedoch. Der Bundeskanzler trifft erst am Aschermittwoch in São Paulo ein.