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Entscheidung in Paris

Gérard Foussier5. Mai 2002

Beim ersten Wahlgang zur Wahl des französischen Staatspräsidenten am 21. April hat mit 17 Prozent der Stimmen überraschend der rechtsradikale Jean-Marie Le Pen den Sprung in die Stichwahl geschafft. Wie stark ist Le Pen?

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Jacques Chirac oder Jean-Marie Le Pen?Bild: AP

Eine große Angst beschäftigt die Franzosen seit dem 21. April: Die Angst, der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen könnte doch am Abend des 5. Mai Staatspräsident werden. Umfragen - soweit man ihnen seit dem Prognosen-Fiasko vom ersten Wahlgang überhaupt noch Glauben schenken
kann - sehen den amtierenden Staatschef Jacques Chirac als klaren Sieger.

Immer mehr Politiker, die bisher zum Lager der Chirac-Gegner zählten, appellieren an ihre Wähler, jetzt den Gaullisten Chirac zu wählen, um Le Pen zu verhindern.

Massenkundgebungen gegen die Rechtsextremen deuten darauf hin, dass das Volk durch die bittere Niederlage der Sozialisten wachgerüttelt wurde. Trotz unterschiedlicher Ansichten über die konkrete Politik plädiert eine deutliche Mehrheit des Wahlvolks für die Wahrung des demokratischen
Grundkonsens unter einem Präsidenten Chirac und grenz sich ab gegen die rassistischen Sprüche des Rechtsradikalen Le Pen.

Dennoch bangt das Volk um die politische Zukunft der Nation und um das Image Frankreichs im Ausland.

Bei aller Vorsicht: Chirac wird vermutlich wieder gewählt. Trotzdem wird das genaue Ergebnis dieser außergewöhnlichen Konfrontation eine wichtige Signalwirkung haben. Wenn Le Pen etwa fünf Millionen Stimmen erhält, also etwa so viel wie beim ersten Wahlgang, dann müssen alle ihre Meinung revidieren, die behauptet haben, Le Pen habe von einer Protestwahl profitiert.

Wer nach soviel Demonstrationen, kritischen Kommentaren und Solidarität im Lager der politischen Gegner sein Wählerpotential nicht verliert, hat nicht mit Nörglern und Enttäuschten zu tun, sondern mit echten Le Pen-Anhängern, die seiner rechtsradikalen Politik zustimmen.

Sollte Le Pen weit unter fünf Millionen Stimmen bleiben, dann wäre die ultrarechte Gefahr leichter zu lokalisieren. Hauptaufgabe der demokratischen Parteien wäre es dann, sich um die bisherigen Protestwähler zu kümmern. Einzige Angst: Nicht alle bisherigen Chirac-Gegner könnten diesem ihre Stimme geben, sondern der Wahl fern bleiben. Dadurch würde Le Pen auch mit einer bescheidenen Stimmenzahl aufgewertet - zumindest prozentual. Und ein hoher
Prozentsatz für Le Pen würde für Schlagzeilen sorgen, auch wenn das Ergebnis als soclhes kaum repräsentativ wäre.

Bleibt die schlimmste aller Varianten: Le Pen bekäme wesentlich mehr als fünf Millionen Stimmen aus dem ersten Wahlgang. Dann hätte Frankreich in der Tat ein Riesenproblem, selbst wenn Chirac mit einem hohen Prozentsatz wieder gewählt wird. Nur einer außer Le Pen
würde sich dann freuen - jener T-Shirt-Hersteller, der bereits am Abend des ersten Wahlgangs mit dem selbstgemalten Slogan auf die Straße ging: "Ich schäme mich für Frankreich".