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Entscheidung fürs Leben

Janine Albrecht22. April 2004

Ausgesetzt oder in Mülltonnen weggeworfen. Im vergangenen Jahr wurden allein in Deutschland 30 Babys tot aufgefunden. Der Verein Sternipark hilft bundesweit Schwangeren, anonym zu entbinden.

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Anonymität gibt den Schwangeren SicherheitBild: Bamberger

"Totes Baby vor Kirche in Hessen gefunden - Säugling in Kaiserslautern ausgesetzt - Ersticktes Neugeborenes in Hamburg gefunden" Immer wieder gehen solche Meldungen durch die Medien. Hinter den Schlagzeilen stehen meist Mütter, die sich mit der bevorstehenden Verantwortung für das Kind überfordert fühlen. Viele verheimlichen ihre Schwangerschaft - auch Jenny. Sie ist 26 Jahre alt, lebt alleine und hat bereits einen Sohn, als sie erneut schwanger wird. "Das war ein Schock für mich. Ich wusste nicht was tun soll." Die Beziehung zu dem Kindsvater war nur eine Affäre. Auch von ihren Eltern kann sie keine Unterstützung erwarten. Sie zieht sich zurück, versteckt ihren dicker werdenden Bauch unter weiten Pullovern.

"Krankenhäuser müssen nicht Detektiv spielen"

Dann sieht sie eine Reportage über Sternipark. Der Hamburger Verein hat im Dezember 2000 die erste offizielle anonyme Geburt in Deutschland ermöglicht. Laut Personenstandsgesetz sind Krankenhäuser verpflichtet, eine Geburt mit den Personalien der Mutter dem Standesamt zu melden. "Aber kein Krankenhaus ist verpflichtet, Detektiv zu spielen, wenn die Mutter keine Angaben macht", sagt Leila Moysich von Sternipark. Daher sei eine anonyme Geburt auch nicht strafbar. Ein Problem sind jedoch die Kosten der Entbindung. Schließlich kann eine Mutter nicht mit ihrer Versicherten-Karte in die Klinik gehen, da dann auch ihre Daten bekannt würden. "Die Kosten übernehmen wir", so Moysich. Mittlerweile arbeitet der Verein mit mehreren Krankenhäusern in ganz Deutschland zusammen.

Ruhe auf Satrupholm

Haus Sternipark
Der Mutter-Kind-Hof SatrupholmBild: Sternipark

Viele Mütter melden sich erst bei Sternipark, wenn die Wehen bereits eingesetzt haben. "Dann müssen wir schnell eine Klinik finden, die auch eine anonmye Geburt macht", sagt Karin Egges, die die Frauen betreut. "Da haben Sie eine Frau, die schon alle fünf Minuten Wehen hat und das Krankenhaus lehnt sie ab, weil es die Daten will." Aber einige Frauen wenden sich rechtzeitig an Sternipark. Dann können sie auf einem alten Bauernhof in der Nähe von Flensburg wohnen. Sich in Ruhe auf die Geburt vorbereiten - anonym. So kam auch Jenny mit ihrem Sohn nach Satrupholm, wie der Hof heißt. "Das war einfach ein beruhigendes Gefühl, seinen Namen nicht nennen zu müssen", sagt Jenny. Neben medizinischen Vorsorgeuntersuchungen bekommen die Frauen auch fachliche Beratung über Möglichkeiten nach der Geburt. "Viele wissen gar nicht, welche Rechte sie als Mutter haben", erzählt Egges. Sie redet mit den Frauen über Möglichkeiten einer Adoption und vor allem welche Hilfen ihnen zustehen, wenn sie das Kind behalten. Und die werdenden Mütter kommen wieder zur Ruhe. Jenny steht das erste Mal zu ihrer Schwangerschaft: "Das war richtig schön. Es war Sommer und ich habe immer ein kurzes Shirt angezogen und meinen dicken Bauch so richtig stolz gezeigt."

"Kind hat ein Recht auf seine Herkunft"

Kritiker sehen in der anonymen Geburt jedoch Rechte des Kindes verletzt. Es habe das Recht, zu wissen wer seine Mutter ist. "Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass dieses Recht nicht gegen, sondern nur mit der Mutter durchzusetzen ist", so Leila Moysich. Von den etwa 120 Frauen, die bislang mit der Hilfe von Sternipark anonym entbunden haben, haben sich 60 Prozent für das Leben mit dem Kind entschieden, so der Verein. "Und von den übrigen 40 Prozent haben 20 ihre Anonymität aufgegeben und das Kind zur Adoption frei gegeben", sagt Moysich.

"Schritt für Schritt das Kind zu sich holen"

Auch nach der Geburt kümmert sich Sternipark um die Mütter und Kinder. Jenny war sich nicht sicher, ob sie ihre Tochter behalten oder zur Adoption frei geben möchte. Also kam die Kleine zunächst zu einer Pflegefamilie, die in der Nähe wohnte. Jenny konnte ihre Tochter jederzeit sehen. "Dieses Schritt für Schritt das Kind zu sich holen, war sehr gut", sagt Jenny. So konnte sie sich in Ruhe an die neue Situation gewöhnen. Und schließlich hat sie sich für ihre Tochter entschieden.