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Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts

24. Juni 2002

- Novellierung des Gesetzes über die Lustration war verfassungswidrig

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Krakau, 20.06.2002, Dziennik Polski, poln.

Die Nachrichtendienste und der Grenzschutz der ehemaligen Volksrepublik Polen werden von der Lustration (Durchleuchtung der Vergangenheit - MD) doch nicht verschont. Die Lustration kann in der alten Form weiter gehen.

Das Verfassungsgericht hat am Mittwoch (19.06.) mehrheitlich entschieden, dass die Form der Novellierung des Lustrationsgesetzes mit der polnischen Verfassung nicht übereinstimmt. Danach war der Senat (oberste Parlamentskammer in Polen - MD) nicht berechtigt, die wichtigsten Änderungen in diesem Gesetz als eigene Korrekturen vorzunehmen.

Nach der Novellierung, die die Partei Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) mit Unterstützung der Partei Selbstverteidigung (Samoobrona) im Februar beschlossen hatte, wurden unter anderem die Nachrichtendienste und der Grenzschutz der Volksrepublik Polen von den Untersuchungen ausgenommen. Nur die Agenten, die der damaligen Opposition und der Kirche geschadet und gegen die Bürgerrechte verstoßen hatten, sollten der Lustration unterzogen werden.

Diese Korrekturen wurden zuerst vom Sejm abgelehnt und später im Senat als Korrekturen des Senats eingeführt. Dann wurde dieses Gesetz auch vom Sejm verabschiedet.

Klage sowohl gegen die Korrekturen (...) wie auch gegen die Form, in der diese Novellierung verabschiedet worden war, wurde von einer Gruppe von Abgeordneten der Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS), Bürgerplattform (PO), Liga Polnischer Familien (LPR), Bauernpartei PSL und der Konservativen Bauernpartei (SKL) erhoben.

Bei unterschiedlicher Stimmenverteilung (vier der insgesamt fünfzehn Richter waren dagegen) kam das Verfassungsgericht zu dem Schluss, dass schon die nicht korrekte Form bei der Verabschiedung der Korrekturen ausreicht, um diese Korrekturen als verfassungswidrig anzusehen. (...)

Die umstrittenen Passagen über den Ausschluss der Nachrichtendienste aus der Lustration und die Passagen, nach denen nur diejenigen ehemaligen Agenten der Untersuchung unterzogen werden, die "anderen geschadet hatten", befinden sich gerade in dem Artikel, der verfassungswidrig verabschiedet wurde. (...)

Dieses Urteil ist unanfechtbar. Etwa 20 laufende Ermittlungsverfahren wurden vom Lustrationsgericht während des Wartens auf dieses Urteil ausgesetzt und zwar u.a. gegen (den ehemaligen Premierminister Polens - MD) Jozef Oleksy und Marek Wagner vom Bündnis der Demokratischen Linken. Diese Verfahren werden jetzt nach der alten Prozedur wieder aufgenommen werden. Der polnische Ombudsmann wird dann außerdem berechtigt sein, mehrere neue Klagen beim Lustrationsgericht einzureichen.

Das Verfassungsgericht verkündete außerdem, dass die Einstellung eines Lustrationsverfahrens gegen eine Person, die aus dem öffentlichen Leben noch vor dem Ende solch eines Verfahrens ausscheidet, generell mit der Verfassung im Einklang steht.

Der Abgeordnete der Partei SLD, Ryszard Kalisz, der bei dieser Verhandlung des Verfassungsgerichts seine Partei vertrat, konnte nicht ausschließen, dass die Partei Bündnis der Demokratischen Linken einen neuen und - wie er betonte – "einen richtigen" Entwurf der Gesetzesnovellierung im Sejm vorlegen wird.

"Das Vorhaben, einige Aktivisten der Partei SLD von der Lustration zu verschonen, misslang", kommentierte Kazimierz Ujazdowski, der Vertreter der Kläger von der Partei Recht und Gerechtigkeit die Entscheidung des Gerichtes und fügte hinzu, dass das Urteil des Verfassungsgerichts als Triumph der Gerechtigkeit anzusehen sei, weil man das Recht nicht durch die Hintertür bestimmen dürfe: " Wir werden in Polen eine echte und nicht eine vorgespielte Lustration haben", sagte Kazimierz Ujazdowski. (Sta)