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Kraftstoff aus dem Gartenteich

Marc von Lüpke27. Mai 2013

Forscher entdecken die Wasserlinsen als Quelle für sauberen Biokraftstoff. Kaum eine andere Pflanze wächst so schnell wie sie. Bisher galt die sogenannte Entengrütze aber als Unkraut - trotz vielfältigen Nutzens.

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Wasserlinsen, auch Entengrütze genannt (Foto: Klaus Appenroth)
Bild: Klaus Appenroth

Besitzer von Aquarien und Teichen sehen sie gar nicht gerne. Die Wasserlinse bevölkert aufgrund ihrer rasanten Vermehrungsrate nach kürzester Zeit die gesamte Wasseroberfläche - und verwandelt einen Zierfischteich oder ein Aquarium in eine scheinbar grüne Wiese. Wer je einen mit Wasserlinsen bedeckten See gesehen hat, weiß, warum die Wasserlinse auch Entengrütze genannt wird - ihnen dient die Pflanze als Nahrung. In Expertenkreisen gelten die oft als Unkraut bezeichneten Wasserlinsen jedoch mittlerweile als grüne Energiequelle: Denn mit ihrer Hilfe kann auf umweltschonende Weise Biokraftstoff hergestellt werden - und es werden dabei keine landwirtschaftlichen Flächen benötigt, die sonst der Produktion von Nahrungsmitteln dienen.

Ein schnell sprießendes Kraftwerk

37 verschiedene Arten unterscheiden die Botaniker in der Familie der Wasserlinsengewächse. Ihre meist nur wenige Millimeter großen Blätter treiben an der Gewässeroberfläche und sorgen so für das typische Aussehen eines Binnengewässers. Ihre winzige Größe macht die Wasserlinse durch ihre gewaltige Vermehrungsrate mittels Sprossung wett. Der Biologe Klaus Appenroth von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena erforscht die Wasserlinsen seit 35 Jahren. Er ist begeistert von der oft belächelten Entengrütze: "Wenn ich mit einem Gramm Frischgewicht mein Experiment starte und dafür sorge, dass die Pflanze unter idealen Bedingungen wachsen kann, dann haben sich aus dem einen Gramm nach sieben Tag 20 Gramm entwickelt." Appenroth ergänzt: "Das ist bei anderen Kulturpflanzen praktisch unmöglich."

Klaus Appenroth vor einem Teich, der übersäht von Wasserlinsen ist. (Foto: Klaus Appenroth)
Auf dem Wasser ist die sogenannte Entengrütze oft nicht gern gesehen, Klaus Appenroth findet sie jedoch nützlichBild: Klaus Appenroth

Tatsächlich sind Wasserlinsen die am schnellsten wachsenden Blütenpflanzen der Welt - führend unter den Arten ist die "Wolffia microscopica". Diese in Asien beheimatete Wasserlinse verdoppelt sich unter natürlichen Wachstumsbedingungen etwa alle 30 Stunden. Wäre diese Pflanze nicht nur auf das Wasser beschränkt, würde sie in etwa vier Monaten das Volumen der Erdkugel erzeugen.

Wasserlinsen als Energielieferant

Diese enorme Fähigkeit, sich zu vermehren, machen die Wasserlinsen nicht nur für Botaniker interessant. Mit ihrer Hilfe könnte auch der weltweite Energiebedarf ein Stück mehr gedeckt werden, denn Wasserlinsen enthalten viel Stärke, die wiederum einen Grundstoff für die Herstellung von Biokraftstoffen wie Ethanol bildet. Klaus Appenroth erklärt: "Wenn ich Stärke abbauen lasse, dann kriege ich Zucker und diesen Zucker kann ich anschließend vergären zu Ethanol." Und der Stärkegehalt der Wasserlinsen lässt sich sogar noch weiter steigern: Wenn die geernteten Wasserlinsen in nährstoffarmes Wasser gebettet werden, stellen sie ihr Wachstum ein. Der durch Photosynthese erzeugte Zucker wird stattdessen in Form von Stärke eingelagert. Anschließend wird die Entengrütze getrocknet, gemahlen und mit Enzymen gemischt. Daraus wird schließlich Zucker, der in einem Gärprozess zu Ethanol verwandelt wird - fertig ist der Biokraftstoff.

Wasserlinsen aus der Nähe (Foto: Klaus Appenroth)
Die Blätter der Wasserlinse sind nur wenige Millimeter groß - durch die Sprossen vermehrt sie sich in RekordzeitBild: Klaus Appenroth

Für diese Art der Erzeugung von Biokraftstoffen muss kein Hektar Ackerland geopfert werden - was sonst oftmals ein großes Problem bei der Produktion von grünem Treibstoff ist. So kam es beispielsweise 2007 in Mexiko zu Unruhen. Dort stiegen die Preise des Grundnahrungsmittels Mais ins Unermessliche, weil große Teile der Maisernte als Biokraftstoff in Autotanks statt auf dem Esstisch landeten. Bei den Wasserlinsen wäre dies hingegen unproblematisch. Auch im Ertrag schlagen die Wasserlinsen die Kulturpflanze Mais, wie der Wissenschaftler Appenroth weiß: "Das Doppelte ist ganz sicher möglich." Anstatt landwirtschaftliche Nutzflächen in Anspruch zu nehmen, lässt sich die Wasserlinse selbst als Futtermittel verwenden. Tatsächlich ist sie nicht nur aufgrund ihres Stärke-, sondern auch aufgrund ihres Proteingehalts als Nutzpflanze interessant: Schafe, Schweine, Ziegen, aber auch Legehennen oder Fische - für sie alle ist die Wasserlinse ein ideales Futtermittel.

Gewässerreinigung und Tierfutter

Darüber hinaus bietet das unscheinbare Gewächs noch einen weiteren Nutzen: Sie reinigt auf unkomplizierte und natürliche Art Gewässer von Verunreinigungen. Die moderne Landwirtschaft beruht auf dem Einsatz von Dünger, der sich in umliegenden Seen und Teichen sammelt. "Das heißt, ich verunreinige ständig Gewässer, wenn ich intensiven landwirtschaftlichen Anbau betreibe", erklärt Klaus Appenroth. Die Wasserlinse hingegen ist ein dankbarer Abnehmer für diese Verbindungen aus Stickstoff und Phosphor. Fischt man die Wasserlinsen ab, wird so aus einem mit Nährstoffen überlasteten Gewässer wieder ein sauberer See. Bei stark mit Giften und Schwermetallen verseuchtem Wasser kann jedoch auch die Wasserlinse wenig ausrichten.

Entengrütze in einer niederländischen Versuchsanlage (Foto: cc-by:Ziko van Dijk-sa)
Entengrütze in einer niederländischen VersuchsanlageBild: cc-by:Ziko van Dijk-sa

Bisher ein bekämpftes Unkraut

In der Vergangenheit wurden die Wasserlinsen viele Jahrzehnte - gerade in Europa - eher als Unkraut betrachtet. Anstelle ihres Nutzwertes erforschte man beispielsweise, wie sie auf Stauseen zu beseitigen waren. Erst seit wenigen Jahren widmet sich die Forschung den Vorteilen der Wasserlinsen. Viel weiter ist man dagegen in China. Dort stehen bereits Großversuche zum Anbau und zur Gewässerreinigung vor dem Start.

In wärmeren Weltregionen wie dem Süden Chinas lassen sich die Wasserlinsen das ganze Jahr ernten, was einen Anbau dort überaus wirtschaftlich machen kann. Aber auch im eher kalten Deutschland gibt es Potenzial. Selbst im Winter ließe sich durch die Zuleitung von Abwärme ein ganzjähriger Anbau der kleinen Kraftwerke gewährleisten. Den Ruf einer Orchideenwissenschaft - eines seltenen ungewöhnlichen Fachs - hat die Erforschung der Wasserlinsen damit mittlerweile abgelegt.