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Enten und Enthüllungen

8. April 2002

– Wie sich die ungarischen Parteien während des Wahlkampfs in den Medien diskreditieren wollten

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Budapest, 8.4.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Jan Mainka

Die Medien beider Lager veröffentlichten bis zur Wahlkampfruhe in den Tagen vor dem Urnengang neben Propaganda auch Material, mit dem der Gegner diskreditiert werden sollte. Von bloßen Enten bis zu stichfesten Enthüllungen war alles dabei; nachfolgend eine kleine Auswahl.

In das Reich der Enten soll nach Meinung der MSZP eine Meldung der regierungsnahen Tageszeitung "Magyar Nemzet" zählen. Die Zeitung berichtete am Mittwoch (3.4.) von einem Plan der MSZP-Führung zur Steigerung der Popularität ihres Spitzenkandidaten. Angeblich beabsichtigten die Sozialisten, Medgyessy einen Unfall oder eine Krankheit simulieren zu lassen. Damit sollte ein Mitleidseffekt erzielt werden wie 1994. Nach Meinung der Konservativen schnitten die Sozialisten damals deswegen so gut ab, weil Spitzenkandidat Gyula Horn von einem schweren Autounfall gezeichnet war.

Nicht zutreffend ist nach MSZP-Angaben auch das Gerücht, dass die Sozialisten den Ökonomen Lajos Bokros in ihr Kabinett bestellen wollen. Der ehemalige Finanzminister hatte mit einem Stabilisierungspaket 1996 das Land vor einer schweren Finanzkrise bewahrt. Bokros wird von Rechtspopulisten angegriffen, weil er das Lebensniveau der Bevölkerung ohne Grund beschnitten habe. Die Sozialisten dementierten, ein neues Bokros-Paket zu planen.

Neben derlei Enten warteten beide Lager aber auch mit handfesten Enthüllungen auf. So deckte die "Magyar Nemzet" am Dienstag (2.4.) auf, dass sich Medgyessy 1998 als Finanzminister der Horn-Regierung dafür eingesetzt habe, die Investmentbank Merryl Lynch mit der Durchführung des Börsengangs des staatlichen Aktienpakets der K&H Bank Rt. zu betrauen.

Einen größeren Fisch konnte die Tageszeitung "Nepszabadsag" am Donnerstag (4.4.) und Freitag (5.4.) präsentieren. Auf je einer Seite veröffentlichte sie Informationen zum Finanzgebaren des Zentrums für Landesimage. Danach habe der exklusive Auftragnehmer, die Happy End Kft., die Hälfte der Kosten für das Millenniumsfeuerwerk von 260 Mio. Forint an eine in Delaware eingetragene Briefkastenfirma überwiesen.

Das Pikante daran ist, dass diese Firma der Schwiegermutter von Andras Wermer, dem Berater von Premier Orban, gehört. Am Freitag berichtete die Zeitung von der indirekten Beteiligung von Andras Wermer an der Millenaris Produkcio Szolgaltato Rt., die für den Betrieb der Millenaris Parks verantwortlich ist. Außerdem stehe Wermer hinter der Firma In Media, die auf Umwegen mit dem Verkauf der Reklame des Ungarischen Staatsfernsehens MTV betraut worden ist.

Alle drei Enthüllungen sind den Informationen des kalifornischen Geschäftsmanns Mordechai Orian zu verdanken. Dieser wickelte früher die Finanzaktivitäten von fidesznahen Firmen ab, bis er aus den betreffenden Firmen gedrängt werden sollte. Jetzt holte er zum Gegenschlag aus. Das Neue ist gegenüber bisherigen Vermutungen über mögliche Veruntreuungen, dass eventuell zum ersten Mal der Weg von Steuergeldern ohne Gegenleistung in Privattaschen konkret nachvollziehbar wurde. Der MSZP-Parteichef bezeichnete den Fall am Donnerstag (4.4.) nur als "Spitze des Eisbergs." (ykk)