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Energiepolitik der Extreme

Jörn Iken2. Oktober 2005

Energiesparen ist in Finnland kein Thema. Die Versorgung wird durch Biomasse und Atomenergie sichergestellt und treibt mitunter seltsame Blüten wie in Helsinki.

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Auch ohne Kohle braucht Finnland nicht zu frierenBild: dpa

Im europäischen Vergleich ist der Strom in Finnland am günstigsten. Das geht aus einer Studie der Londoner Energieberatungsgesellschaft Energy Advice hervor, die regelmäßig Strompreise in zwölf europäischen Ländern vergleicht. Demnach zahlen die Finnen nur rund die Hälfte dessen, was Verbraucher in teuren Stromländern wie Dänemark, Deutschland oder Italien zahlen müssen.

Atomkraftwerk in Finnland
Atomkraft ist ein wichtiger Stützpfeiler der finnischen EnergiewirtschaftBild: AP

Angesichts solcher Preise spielt das Stromsparen in Finnland keine große Rolle - und das, obwohl das Land keine eigenen Öl- oder Kohlevorkommen hat. Finnlands Energiepolitik vereint scheinbar Gegensätzliches: Strom kommt entweder aus Atomkraftwerken oder - mit steigender Tendenz - aus Biomasse.

Doppelter Stromverbrauch

Das Land lebt damit im Überfluss - jedenfalls was die Energie angeht. Der Energieverbrauch pro Kopf ist um rund ein Viertel höher als in Deutschland - und das bei etwa gleichem Lebensstandard. Bei elektrischem Strom wird das Verhältnis noch krasser. Jeder Finne verbraucht mehr als doppelt soviel Strom wie ein deutscher Verbraucher. Von Energiesparen redet in Finnland kaum jemand.

Helsinki Stadtansicht Kalenderblatt
HelsinkiBild: AP

Die Energieverschwendung äußert sich mitunter auf skurille Weise. So kann man beispielsweise in Helsinki seine Weihnachtseinkäufe barfuss erledigen. Die beliebteste Einkaufsstraße in der Hauptstadt verfügt über eine Fußbodenheizung. "Allerdings führt dieser sorglose Umgang mit Energie und das völlige Fehlen eigener Öl- und Kohlevorkommen dazu, dass Finnland in der Energieversorgung nicht auf eigenen Füßen steht", sagt Satu Helynen, Wissenschaftlerin am Finnischen Zentrum für technische Studien.

Torf und Holz seien die einzigen Ressourcen, über die das Land abgesehen von etwas Wasserkraft verfügt, so die Wissenschaftlerin. "Alles andere müssen wir importieren", erklärt Helynen.

Wind und Sonne spielen keine Rolle

Um die starke Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern, setzt Finnland auf den Ausbau der Kernenergie und gleichzeitig - für die Finnen kein Widerspruch - auf Bioenergie. "Der Anteil der Bioenergie an der Primärenergieerzeugung beträgt 26 Prozent", sagt Helynen. Das sei viel für ein industrialisiertes Land.

Die Nutzung von Bioenergie hat in Finnland eine lange Tradition. Andere umweltschonende Energien stehen dahinter zurück. Die Windkraft spielt trotz einer langen windreichen Küste so gut wie keine Rolle. Und einen ernsthaften Beitrag der Solarenergie erwartet niemand von einem Land, von dem ein Viertel nördlich des Polarkreises liegt. Finnische Biomasse-Kraftwerke hingegen produzieren in relativ kleinen dezentralen Einheiten seit Jahrzehnten Strom und Fernwärme.

Baumstämme bei Bad Segeberg
Holz als EnergielieferantBild: AP

"Der bevorzugte Brennstoff der Kraft-Wärme-Kraftwerke sind die Holzabfälle der finnischen Papierindustrie", sagt Helynen. Sie seien der Brennstoff der Zukunft. Aber auch landwirtschaftlich erzeugte Biomasse ist im Kommen. "Vor allem der Anbau von schilfartigem Rohrglanzgras wird in Zukunft eine große Rolle spielen", ist sich Helynen sicher.

Dem mitteleuropäischen Besucher von finnischen Biomasse-Kraftwerken bietet sich ein erstaunliches Bild: In großen Mengen verschwindet Torf in den Brennkammern der Kraftwerke. In Deutschland ist Torf streng geschützt, in Finnland hingegen Brennstofflieferant - etwa zehn Prozent der Torfflächen in Finnland werden für die Kraftwerksbefeuerung abgebaut.

Torf als alternativer Brennstoff

Selbst nach Meinung von Greenpeace Finnland ist das kein Raubbau an der Natur. Denn zurzeit wächst in den riesigen Moorgebieten Finnlands noch mehr Torf nach, als abgebaut wird. "Im Gegensatz zu Holz gilt Torf aber dennoch nicht als erneuerbar", sagt Helynen.

Deutschland: Schöninghsdorf - Volle Loren mit Torf
Auch Torf zählt zu den erneuerbaren EnergienBild: picture-alliance / HB Verlag

Torf sei zwar ohne Frage Biomasse, weil es nachwächst, aber das dauere Tausende von Jahren. "Wenn es bei internationalen Vergleichen um die Vermeidung von Treibhausgasen geht, lassen wir Torf deshalb aus der Betrachtung heraus, weil es Emissionen verursacht", erklärt Helynen.

Die lange Erfahrung mit dem Brennstoff Biomasse macht die finnischen Kraftwerksbauer zu begehrten Gesprächspartnern. Mit dem Ausbau der klimaschonenden Bioenergie in anderen Ländern wachsen die Exportchancen der finnischen Unternehmen. So hat der Marktführer

Wärtsilä Biopower Oy bereits über hundert Biokraftwerke weltweit installiert. Jetzt auch zum ersten Mal in Deutschland. Der Flughafen Baden-Baden erhält ein Heizwerk, das ein Nahwärmenetz versorgt und zusätzlich elektrischen Strom produziert. Geheizt wird mit Holzabfällen - anders als in Finnland bekommt der Brenner Torf nie zu sehen.