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Endlich Pleite gehen dürfen!

Dirk Kaufmann3. August 2015

Eigentlich sind Staaten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, schlicht pleite. Aber ein geregeltes Insolvenzverfahren für Volkwirtschaften gibt es nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln will das ändern.

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Illustration Insolvenz (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance / ZB

"Wir brauchen ein Insolvenzrecht für Staaten, weil das Beispiel Griechenland deutlich gemacht hat, dass wir dafür kein verlässliches Verfahren haben." Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft legt den Finger in die Wunde, die die Grexit-Diskussion in der Eurozone geschlagen hat.

Gegenüber der DW bemüht Matthes Griechenland als Beispiel dafür, wie nötig ein Insolvenzrecht für Staaten ist: "Bei Griechenland ist der Karren schon soweit im Dreck - dazu hätte es gar nicht kommen dürfen. Denn der größte Teil der Schulden, den die Griechen haben, liegt inzwischen bei öffentlichen Gläubigern. Das gilt es in Zukunft zu verhindern."

Die Chance auf einen Neuanfang

Was es für Staaten nicht gibt, ist innerhalb einer Volkswirtschaft klar geregelt. Wenn eine Firma über einen längeren Zeitraum mehr Geld ausgibt als sie einnimmt, hat sie ein Problem: Irgendwann verlieren die Gläubiger und die Kunden die Geduld, sie wollen sich nicht mehr auf einen Nimmerleinstag vertrösten lassen. Die Konsequenz: Die Firma geht in die Insolvenz.

Jürgen Matthes (Foto: IW)
Jürgen Matthes fordert ein StaatsinsolvenzrechtBild: Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens wird festgestellt, ein Insolvenzverwalter übernimmt das Kommando. Dieser sorgt dafür, dass niemand über Gebühr unter dieser Firmenpleite leiden muss und dass möglichst viele Forderungen erfüllt werden können. Manchmal findet er sogar eine Lösung, dass die zahlungsunfähige Firma doch irgendwie weiterarbeiten kann und vielleicht nicht alle Mitarbeiter entlassen muss.

Ein solches Modell gibt in Deutschland seit einigen Jahren auch für Privatpersonen. Ist jemand vollkommen überschuldet, bietet ihm eine "Privatinsolvenz" die Chance auf einen Neuanfang. Nach drei Jahren kommt es dann es zu einer "Restschuldbefreiung", und der Gescheiterte kann wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen.

Am Ende steht der ESM

Ein geregeltes Insolvenzverfahren steht und fällt mit der Frage: Wer stellt die Zahlungsunfähigkeit fest? Jürgen Matthes beschreibt das normale Verfahren so: "In der Regel stellt das Land einen Antrag beim ESM und eine Analyse der Schuldentragfähigkeit wird durchgeführt. So ist bis jetzt das Vorgehen."

Für ein weiteres Prozedere aber gibt es noch kein geregeltes Verfahren, beklagt Jürgen Matthes. Was geschehen müsse, wenn ein Land seine Schulden nicht mehr tragen kann, die entsprechende Analyse also negativ ausfällt und somit tatsächlich festgestellt wird, dass es eine Überschuldung gibt - sei nicht eindeutig festgelegt. Deshalb, so der Ökonom, "brauchen wir da eine Änderung, eine Verschärfung, um klar zu sagen: Jetzt wird ein Insolvenzverfahren eingeleitet."

Dann müsste aber auch eine andere Institution als der von der Pleite bedrohte Staat selbst eine Zahlungsunfähigkeit feststellen dürfen. Matthes schlägt dafür, und zwar als "Ultima ratio, also als letzte Möglichkeit", den Europäischen Stabilitätsmechanismus, den ESM, vor. Der Stabilitätsmechanismus sollte die Möglichkeit erhalten, "mit sehr, sehr großer Mehrheit ein Insolvenzverfahren einzuleiten.

Erst reformieren und sparen

Erster Teil des Verfahrens wäre, dass ein Land drei Jahre lang verpflichtet würde, Reformen durchzuführen - es müsse die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft wiederherstellen, die Einnahmen erhöhen und die Ausgaben reduzieren. Wenn dann aber, formuliert es Matthes, "das Programm nicht zum Erfolg führt, würde am Ende ein Insolvenzverfahren automatisch greifen müssen."

Es stehen noch viele Hürden auf dem Weg

Auch für den Fall, dass es gelänge, ein Staats-Insolvenzverfahren zustimmungsbereit zu formulieren, sei es längst nicht ausgemacht, dass es auch umgesetzt würde. Denn die Länder, so Matthes, die jetzt relativ hoch verschuldet sind, brächen sicherlich nicht in Jubel aus, würde ein solches Verfahren intensiver diskutiert werde.

Dann würde eine politische Herkulesarbeit auf die europäischen Finanzminister zukommen: "Die Zustimmung der hochverschuldeten Länder zu gewinnen, ist sicherlich eine Herausforderung."

Symbolbild Schuldenschnitt Griechenland (Foto: dpa)
Die anhaltende "Grexit"-Diskussion zeigt, dass ein Insolvenzrecht fehltBild: picture-alliance/dpa

Doch auch aus den prosperierenden Ländern des europäischen Nordens ist nicht mit ungeteilter Zustimmung zu rechnen. Die Angst, ein Insolvenzrecht könnte unseriöse Haushaltspolitiker in trügerischer Sicherheit wiegen, ist nicht von der Hand zu weisen. Deshalb, so Jürgen Matthes, "gilt es zu verhindern, dass sich Staaten strategisch hoch verschulden, weil sie wissen: Irgendwann kann ich in einem Insolvenzverfahren, ohne dass es wirklich weh tut, meine Schulden wieder loswerden."

Trotz allem: Der Preis bleibt hoch

Trotzdem befürchten die Wissenschaftler vom IW nicht, dass ein festgelegtes Verfahren für den Umgang mit einer Staatspleite, einen möglichen Schuldenkönig zu fortgesetzter hemmungsloser Verschwendung verführen würde. Dafür würden schon die Reformauflagen ausreichen. Denn die würden für einen Staat zu einem deutlichen Souveränitätsverlust führen. "Und dieser Souveränitätsverlust ist politisch teuer. Und Regierungen werden ihn nur sehr ungerne eingehen."