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Endet die Ära Berlusconi?

Jan Oltmanns10. April 2006

Italien wählt ein neues Parlament. Silvio Berlusconi möchte Ministerpräsident bleiben. Aber sein Herausforderer, Romano Prodi, liegt in Umfragen leicht vorne. Beendet er die "berlusconianische Anomalie" (La Repubblica)?

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Silvio BerlusconiBild: AP

Irgendwie nimmt keiner in Europa Silvio Berlusconi so richtig ernst. Vielleicht liegt das daran, dass Italiens Premier hierzulande vor allem mit Kuriositäten Schlagzeilen macht: Es wäre in Deutschland schlicht undenkbar, dass sich zum Beispiel Peter Struck eine Haartransplantation verpassen lässt, Franz Müntefering ein öffentliches Keuschheitsgelübde bis zur nächsten Wahl ablegt oder Angela Merkel sich gar zum weiblichen Messias deutscher Politik ausruft. So etwas nähme man hier mit Befremden oder Empörung auf. Nicht so in Italien, dort sind solche Ereignisse an der Tagesordnung - Silvio Berlusconi sei Dank.

Ein Premier kontrolliert die Medien

Treffen: Präsident Bush und Premierminister Silvio Berlusconi
Berlusconi der Staatsmann - hier mit US-Präsident George W. BushBild: AP

So etwas verleitet zum Schmunzeln - obwohl die Show eigentlich nicht zum Lachen ist. Denn solche Kapriolen sind Teil der Selbstinszenierung Berlusconis - und mit der hatte er bislang stets Erfolg. Der immer braungebrannte Medienmogul mit dem Haifischgrinsen, der sich selbst den "fleischgewordenen italienischen Traum" nennt, ist inzwischen länger im Amt als jeder italienische Ministerpräsident vor ihm - sieht man einmal von Diktator Benito Mussolini ab. Seit 2001 hat er - nebenbei mit geschätzten elf Milliarden Dollar Privatvermögen der reichste Italiener - immer mehr Macht angehäuft. Dank seiner politischen Immunität sind Staatsanwaltschaften, die sich mit Berlusconi gerne über möglicherweise illegale Geschäftspraktiken unterhalten würden, machtlos. In den vergangenen zehn Jahren war er in mehr als einem Dutzend Prozesse angeklagt. Bislang konnte sich der Premier dem Zugriff der Justiz entziehen - durch Verzögerung, Berufung oder durch Gesetze, die ihn schützen. "Lex Berlusconi" wird das in Italien genannt.

Die Machtfülle des italienischen Ministerpräsidenten gründet sich auf einen Führungsstil, den er selbst gerne als wirtschaftlich bezeichnet. Er sei der "Vorstandsvorsitzende des Betriebs Italien", sagte er einmal. Außerdem hat Berlusconi die Befugnisse des Ministerpräsidenten während seiner Amtszeit mehr und mehr ausgeweitet. Und schließlich übernahm er nach und nach fast den gesamten italienischen Fernsehmarkt. Die einflussreiche Fernsehgesellschaft "Mediaset" gehört ihm sowieso - und sein Arm reicht weit in die Chefetagen des staatlichen Senders RAI hinein. Aufsichtsrat und Redaktion des Senders besetzte er mit seinen Günstlingen. Insgesamt kontrolliert Berlusconi damit heute rund 90 Prozent der öffentlichen italienischen Medien.

Berlusconi-Superstar

Wahlen in Italien Demonstration gegen Berlusconi in Genova
Vielen Italienern reicht es: Anti-Berlusconi-Demonstrationen in Rom.Bild: AP

Und daher sehen die Italiener zwischen Nachmittagstalk, Sport und TV-Soaps vor allem einen: Den persönlichen Freund George W. Bushs und Wladimir Putins, den "Messias" Italiens, den Mann, bei dessen Anblick die Frauen dahinschmelzen, den Fußball-Mäzen und Besitzer des Top-Clubs AC Milan - Silvio Berlusconi eben. Der feiert sich seit Wochen weitestgehend ungebremst in TV, Radio und Zeitung: Berlusconi, der Staatsmann; Berlusconi, der Frauenheld; Berlusconi, der Unternehmer; Berlusconi der Clown. Der Premier ist ein wahrhaft genialischer Verkäufer seiner selbst.

Seine Medienpräsenz und Medienmacht habe eine "lautlose Kulturrevolution" in Gang gesetzt, schreibt Berlusconi-Experte Alexander Stille. Fakt ist: Italien teilt sich in Sachen Pressefreiheit laut internationalem Ranking der US-Organisation "Freedom House" den 77. Platz mit der Mongolei. Die Presse sei in Italien nur "teilweise frei". Umberto Eco, weltberühmter Schriftsteller und einer der schärfsten Kritiker des Ministerpräsidenten, kann dies erklären: Von einem TV-Regime spricht der Autor, von Massenmedien-Populismus und von einem System, dass die Italiener dazu erziehe, zu glauben, was sie im Fernsehen sehen.

Umberto Eco
Scharfer Berlusconi-Kritiker: Der Philosoph Umberto Eco.Bild: dpa

Eco ist einer der prominentesten Kritiker des Ministerpräsidenten - aber bei weitem nicht der Einzige. In Umfragen liegt Berlusconi-Herausforderer Romano Prodi, ehemals Chef der EU-Kommission, heute Kandidat der Linken, inzwischen leicht vorn. Das letzte Fernsehduell gewann der Professor aus Bologna ebenfalls - wohl vor allem deshalb, weil Berlusconi seine größte Stärke, seinen Charme, innerhalb der starren Regeln nicht ausspielen konnte. Seine Gegner wittern nun Morgenluft. Beobachter der italienischen Politik beschreiben den sonst so selbstbewussten Ministerpräsidenten als arg verunsichert. Anfang März verlor Berlusconi sogar öffentlich die Fassung. Vor laufenden Kameras stürmte er wütend aus einer Talkshow. Der Grund: Die Fragen hatten ihm nicht gepasst.

Dürftige Regierungsbilanz

Wahlen Italien Romano Prodi
Herausforderer: Ex-Chef der EU-Kommission Romano Prodi.Bild: AP

Dies alles sind Personalien - und die haben über die Jahre noch in jedem Wahlkampf an Wichtigkeit gewonnen. Dass Berlusconi und mit ihm seine konservative Partei "Forza Italia" ihren Wahlkampf ganz auf die Person des Ministerpräsidenten abstellen, hat aber noch einen anderen Grund. Berlusconis Regierungsbilanz fällt eher dürftig aus. "Was haben sie in diesen fünf Jahren gemacht, außer Gesetzen, die ihre eigenen Interessen betreffen?", schleuderte Prodi ihm dann auch während des TV-Duells entgegen.

Fakt ist: Während Berlusconis Amtszeit brach die Konjunktur der viertgrößten europäischen Volkswirtschaft ein: 2001, als Berlusconi auf dem Sessel des Premiers Platz nahm, betrug die Wachstumsrate immerhin noch 1,8 Prozent. Heute ist Italien mit 0,0 Prozent Wachstum das Schlusslicht Europas.

Die umstrittene Justizreform von 2005 - ein "Sieg der Ganoven", wie die "Süddeutsche Zeitung" schrieb, schlägt ebenfalls nicht für Berlusconi zu Buche. Prozesse in Italien werden seither endlos verschleppt, in Sachen Effizienz der Justiz verharrt Italien im internationalen Vergleich auf dem Niveau Guatemalas.

Die Zeiten von "Dolce Vita" sind vorbei, auch wenn Berlusconi diese Tatsache weiter munter an sich abprallen lässt. In seiner Amtszeit habe er das Land auf international höchstes Niveau gebracht, sagte der Premier unlängst. Anschließend erklärte er, er sei "größer als Napoleon". So recht glauben mag das der Wähler aber offenbar nicht mehr.

Fischen am rechten Rand

Alessandra Mussolini Wahlen Italien
Enkelin des "Duce", bekennende Neofaschistin und nun Berlusconi-Verbündete: Alessandra Mussolini.Bild: AP

Und weil ihm die Wähler davonlaufen, lässt sich der Geschichte des Silvio Berlusconi ein weiteres, unappetitliches Kapitel hinzufügen: Der Premier geht offen am extremen rechten Rand auf Stimmenfang. Zwar paktiert seine "Forza Italia" bereits mit der postfaschistischen "Alleanza Nazionale" und der "Lega Nord". Dass der Premier jüngst aber auch noch die bekennenden Neofaschisten der "Alternativa Sociale" ins Boot holte, sorgte dann doch für einige Aufregung. Deren Vorsitzende ist Alessandra Mussolini, Enkelin des "Duce". Sie war aus der "Alleanza Nazionale" ausgetreten, weil deren Chef Gianfranco Fini sich in Israel für die faschistischen Verbrechen entschuldigt hatte. "Verrat" nannte sie das damals. Ebenso umwarb Berlusconi die "Fiamma Tricolore" - eine weitere Partei am extremen Rand. Das Bündnis mit der radikalen Rechten trug Berlusconi einige Kritik ein - auch von den konservativen Koalitionspartnern. Den Premier focht auch das nicht an: Er akzeptiere von niemandem Lektionen in Sachen Demokratie, schimpfte er.

Der Schulterschluss mit den Faschisten mag Berlusconi ein, vielleicht zwei Prozentpunkte einbringen, meinen Demoskopen. Möglicherweise war das Bündnis mit den radikalen Rechten eine Verzweifelungstat. Denn Berlusconi weiß sehr genau: Wenn er die Wahl verliert, wird ihn niemand schützen. Dann muss er mit Kartellauflagen für sein Medienimperium rechnen - und eben mit dem Besuch jener Staatsanwälten, die schon seit langem gerne ein Wörtchen mit ihm reden würden.