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Politik

Empörung über Istanbuler Weihnachts-Zwist

19. Dezember 2016

Die Aussetzung vorweihnachtlicher Traditionen an einem deutsch-türkischen Elite-Gymnasium in Istanbul schlägt hierzulande hohe Wellen. Politiker fordern, der Schule deutsche Gelder zu streichen.

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Istanbul Lisesi (Foto: picture-alliance)
Die betroffene Schule in IstanbulBild: picture-alliance/dpa/L. Say

"Es ist sehr schade, dass die gute Tradition des vorweihnachtlichen interkulturellen Austausches an einer Schule mit langer deutsch-türkischer Tradition in diesem Jahr ausgesetzt wurde", erklärte das Auswärtige Amt in Berlin. "Wir verstehen die überraschende Entscheidung der Leitung des Istanbul Lisesi nicht." Es solle Gespräche dazu geben.

Keine Lieder, keine Feiern

Die Schule - ein Elite-Gymnasium, an das deutsche Lehrer entsandt werden und an dem auch das deutsche Abitur gemacht wird - reagierte auf die Empörung in Deutschland mit einem Dementi. Sie habe kein "Weihnachtsverbot" ausgesprochen, versicherte die vom Bildungsministerium in Ankara eingesetzte türkische Schulleitung. Allerdings hätten die deutschen Lehrer im Unterricht "vor allem in den letzten Wochen Texte über Weihnachten und das Christentum auf eine Weise behandelt, die nicht im Lehrplan vorgesehen ist".

In einer E-Mail, die die Leitung der deutschen Abteilung der Schule an das Kollegium geschickt hatte, hatte es jedoch geheißen: "Es gilt nach Mitteilung der türkischen Schulleitung eben, dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird." Auch deutsche Lehrer in Istanbul bestätigten dem Nachrichtenportal "Spiegel Online", es gebe Anweisungen, auf Weihnachtslieder und Adventsfeiern zu verzichten. Ebenso habe es die Aufforderung gegeben, Adventskalender aus den Räumen in der Schule zu entfernen.

"Bevormundung und Abschottung"

Eine Reihe deutscher Politiker wertete die Entscheidungen der Schule als Folge des islamisch-konservativen Kurses des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Dass dieser kulturelle Einflüsse quasi per Ansage verbieten wolle, sei "Ausdruck von Unsouveränität, Bevormundung und Abschottung" und das Gegenteil von Freiheit und Aufklärung, sagte die Stellvertreterin von CDU-Chefin Angela Merkel, Julia Klöckner, der "Passauer Neuen Presse". "Wer freie Gedanken einebnen will, der ist aus Verblendung wohl auch zu weiterem fähig", mutmaßte Klöckner.

Recep Tayyip Erdogan
Präsident Erdogan: Will er Weihnachtsfeiern in seinem Land "ausmerzen"?Bild: Reuters/B. McDermid

Innenstaatssekretär Günter Krings sagte der Zeitung "Rheinische Post", wenn es "kein Interesse an einem offenen kulturellen Austausch mehr" gebe, stelle sich die Frage, "welchen Sinn eine solche deutsch-türkische Schule dann noch hat". Manche Politiker wurden noch deutlicher: Die Bundesregierung dürfe es nicht mit Steuergeldern fördern, wenn in der "islamistischen Diktatur" von Erdogan "selbst die Erwähnung von Weihnachten verboten" werde, meinte etwa die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die selbst türkische Wurzeln hat.

Grünen-Chef Cem Özdemir erinnerte daran, dass die Türkei schon immer Heimat griechischer, aramäischer und armenischer Christen gewesen sei - lange bevor die ersten Türken und Muslime anatolischen Boden betreten hätten. Offensichtlich habe sich Erdogan in den Kopf gesetzt, "auch die letzten Reste an religiöser und ethnischer Vielfalt gründlich auszumerzen, wenn er sich selbst von harmlosen Weihnachtsliedern in seiner Herrschaft bedroht fühlt".

wa/pab (afp, dpa)