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Politik

EU-Vision trifft Europhobie

Robert Mudge
17. Januar 2018

Es ist keine "Amour fou": Bei dem Treffen zwischen Präsident Macron und Premier May werden EU-Leidenschaft und Europhobie aufeinanderprallen. Eine Frage bleibt: Wie wird sich der Brexit auf deren Beziehung auswirken?

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Theresa May und Emmanuel Macron beim EU Gipfel in Schweden  (Foto: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo)
Theresa May und Emmanuel Macron beim vergangenen EU-Gipfel in Schweden Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo

"Ein Franzose muss immer reden, ob er etwas von der Sache weiß oder nicht; ein Engländer begnügt sich, nichts zu sagen, wenn er nichts zu sagen hat." Dieses Zitat des Schriftsteller Samuel Johnson aus dem 18. Jahrhundert ist eine gute Charakterisierung, um die Hassliebe zwischen Frankreich und Großbritannien über die Jahrhunderte zu definieren. Georges Clemenceau, der während der Dritten Republik (1870-1940) zwei mal als französischer Premierminister regierte, tat sein Bestes, um sicherzustellen, dass wenig Liebe verloren ging, als er bemerkte, dass "Englisch nur schlecht ausgesprochenes Französisch ist".

Der aktuelle französische Präsident Emmanuel Macron würde wahrscheinlich Johnsons Einschätzung widersprechen, vor allem angesichts der überwiegend positiven Rückmeldungen, die er für seine "Reset"-Pläne erhielt, während die britische Premierministerin Theresa May viel zu sagen hat, ohne etwas zu sagen. Traditionell haben Frankreich und Großbritannien eng zusammengearbeitet - bei Verteidigungs- und Sicherheitsfragen innerhalb der NATO, in der EU und als die einzigen EU-Länder, die ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat sind. Wird der Austritt der Briten aus der EU diese Kooperation schmälern? Und welche Auswirkungen hat der Brexit auf seine Grenz- und Wirtschaftsbeziehungen?

Verteidigungs- und Sicherheitsfragen

Im Jahr 2010 unterzeichneten die beiden Länder einen wichtigen Vertrag über Verteidigung und Sicherheit, die sogenannten Lancaster-House-Verträge. Im Rahmen dieser Vereinbarung wurde die Zusammenarbeit zwischen britischen und französischen Streitkräften im Hinblick auf die gemeinsame Nutzung und Bündelung von Material und Ausrüstung intensiviert. Zudem hat es auch gegenseitigen Zugang zu den Verteidigungsmärkten des jeweils anderen Landes sowie den Austausch und die Entwicklung von industriellen und technologischen Projekten ermöglicht.

Deutschland Trainingscamp Panzerbrigade der britischen Armee (Foto: Getty Images/S. Franklin)
Frankreich und Großbritannien teilen sich einen Pool für MilitärgeräteBild: Getty Images/S. Franklin

Laut Nicholas Startin, Abteilungsleiter und Dozent für französische und europäische Politik an der Universität Bath, ist dies ein Bereich, der vom Brexit unberührt bleiben könnte. "Ich denke, die Führung beider Länder sind pragmatisch genug und sie wollen, dass diese Vereinbarungen und die relativ engen Beziehungen, die sie zu sicherheitsbezogenen Fragen haben, weitergehen. Dennoch wird das Vereinigte Königreich mit weniger Einfluss wahrscheinlich Kompromisse in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen eingehen müssen. Und nach dem Brexit werden die Briten die schmerzhafte Aufgabe haben, neue Allianzen zu entwickeln, wenn sie ihre außenpolitischen Ziele erreichen wollen. Neben diesen bilateralen Abkommen wird das Aushandeln einer neuen "besonderen Beziehung" mit der EU in Hinblick auf Verteidigung und Sicherheit die entscheidende Rolle spielen.

Grenzfragen

Im Jahr 2003 unterzeichneten die beiden Länder das sogenannte Le Touquet Abkommen, das die britische Grenze effektiv nach Frankreich ausdehnte. Seitdem sind britische Grenzsoldaten in Nordfrankreich stationiert, während französische Beamte Einwanderungskontrollen im Hafen von Dover durchführen, was beiden Seite eine Win-Win-Situation brachte.

Frankreich Migranten in Calais  (Foto: Getty Images/R. Stothard)
Die Zugänge zum Eurotunnel in Calais sind versperrt und werden bewachtBild: Getty Images/R. Stothard

"Im Kontext der EU schien diese Regelung aus britischer Sicht recht gut zu funktionieren. Das hat unabhängig von der Brexit-Situation dazu geführt, dass das Gebiet von Calais und die Region Pas de Calais stark unter Druck geraten sind, da die Kontrollen zu einer Blockierung von Flüchtlingen geführt haben, die nach Großbritannien wollten. Sie gerieten stattdessen in eine humanitäre Krise", sagt Startin der DW.

Aber jetzt setze Frankreich das Vereinigte Königreich unter Druck, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und mehr für die Grenzsicherheit zu zahlen, wenn die derzeitige Regelung beibehalten werden soll. Aus französischer Sicht sei das vernünftig, meint Startin. "Ich denke, es ist verständlich, dass der französische Präsident hinterfragt, wie der Vertrag in einem Post-Brexit-Umfeld funktioniert, denn er scheint mir eine enorme Belastung für Frankreich zu sein, da viele Flüchtlinge weiterhin versuchen, das Vereinigte Königreich zu erreichen."

Und es scheint, dass die Karten zu diesem speziellen Thema in Macrons Händen sind. Das ultimative Dilemma für die britische Regierung ist, dass Macron sagen könnte "wir ignorieren das Problem", was impliziere, dass die Grenze wieder nach Dover verlegt und das Flüchtlingsproblem "dort geparkt" wird. Und das ist etwas, das angesichts des politischen Kontexts, die britische Regierung versuchen wird zu vermeiden. 

Wirtschaft und Brexit

Im Falle eines "harten" Brexits, bei dem das Vereinigte Königreich den Binnenmarkt verlässt, würden sich die unmittelbaren Auswirkungen bei dem zollfreien, kanalübergreifenden Handel bemerkbar machen. "Offensichtlich ist die Aussicht auf Zollkontrollen und möglicherweise Zölle zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich, insbesondere zwischen Calais und Dover, wo eine große Menge an Waren zur Zeit ungehindert durch die Grenzkontrollen hin- und herpendelt, ein großes Problem", schätzt Jonathan Portes, Professor für Wirtschaft und Politik am King's College London und  Experte für das Forschungsprojekt "Das Vereinte Königreich in einem sich wandelnden Europa" im Rat für Wirtschafts- und Sozialforschung. Ungeachtet der Art des Brexits ist Portes der Meinung, dass "die Franzosen unter fast allen denkbaren Umständen weiterhin einer der größten Handelspartner bleiben werden".

England Wirtschaft Container (Foto: Picture alliance/empics/A. Matthews)
Noch können die Waren zwischen Frankreich und Großbritannien ungehindert hin und her transportiert werdenBild: Picture alliance/empics/A. Matthews

Das sieht Nick Startin anders. Er sagt: "Für Großbritannien wird es schwierig werden, im Rahmen eines harten Brexits eine sinnvolle Handelsbeziehung mit einzelnen EU-27-Staaten auszuhandeln. Gleichzeitig ist es auch klar, dass die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen im Schatten der durch den Brexit verursachten Unsicherheiten kurzfristig so leicht nicht mit anderen Ländern außerhalb der EU zu schaffen sind."

Macron hat wiederholt gesagt, dass er nicht bestrebt sei, Großbritannien "zu bestrafen", aber genauso bleibt er der leidenschaftliche Europäer, der für Frankreich und die EU das beste Angebot sucht, und für das er Hilfe von Europas führender Wirtschaft, Deutschland, benötigt.

Passionierte Verschwörungstheoretiker können diese Entwicklung als ein Beweis sehen, dass sich Paris und Berlin gegen das Vereinigte Königreich verbünden, das wiederum versucht, diese Achse zu verhindern. "Es ist wahrscheinlich richtig zu sagen, dass die Franzosen in Bezug auf den Brexit etwas härter oder eher puristisch als andere Länder sind", sagt Portes. " Auf der anderen Seite gibt es zumindest bisher keine Beweise dafür, dass Deutschland unter Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bezug auf die Integrität des Binnenmarktes weniger puristisch ist. Die Idee, dass Großbritannien irgendwie versuchen könnte, Frankreich von Deutschland zu trennen oder Frankreich zu isolieren, ist keine Strategie, die eine ernsthafte Aussicht auf Erfolg hat, und wir hoffen, dass unsere Regierung nicht dumm genug ist, es zu versuchen."