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Elite aus Ostdeutschland gesucht

Martin Koch21. November 2012

Die Bundeskanzlerin stammt aus dem Osten, der Bundespräsident auch. In weiteren Spitzengremien sind Bewohner der Neuen Länder allerdings unterrepräsentiert. Besserung ist nicht in Sicht – jedenfalls nicht ganz oben.

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Stadtansicht von Dresden (Foto: Johannes Simon/Getty Images)
Bild: Getty Images

Mit Angela Merkel und Joachim Gauck bekleiden Ostdeutsche zwei der höchsten deutschen Staatsämter. Auch in der Parteipolitik mischen sie mit: Bei den Linken sowieso, aber auch die Grünen haben mit der gebürtigen Thüringerin Katrin Göring-Eckardt eine Ostdeutsche zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl im kommenden Jahr gekürt. Es könnte der Eindruck entstehen, 23 Jahre nach dem Mauerfall gebe es in Deutschland keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West. Doch aktuelle Studien besagen das Gegenteil: Die Bewohner der Neuen Bundesländer machen zwar 17 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, in den sogenannten Eliten der Bundesrepublik spiegelt sich das allerdings nicht wider: Hier liegt ihr Anteil bei fünf bis neun Prozent oder noch darunter.

Kaum Ostdeutsche in Führungspositionen

Nach einer Untersuchung des Soziologen Raj Kollmorgen von der Universität Jena sind von gut 180 Vorstandssitzen in deutschen Spitzenunternehmen nur zwei mit Ostdeutschen besetzt. Unter den 500 reichsten Familien des Landes findet sich keine einzige aus den neuen Bundesländern. Rund 200 Generälen aus dem Westen steht nicht ein einziger aus dem Osten gegenüber.

Auch in der Medienlandschaft findet sich dieses Phänomen: Von den ARD-Anstalten hat nur der MDR mit der Chemnitzerin Karola Wille eine Intendantin aus Ostdeutschland und bei überregionalen Tageszeitungen sucht man vergeblich nach Chefredakteuren aus dem Osten. Und auch im Kabinett von Bundeskanzlerin Merkel kommt kein einziges Mitglied aus den Neuen Ländern.

Die Intendanten der ARD (Foto:WDR/Herby Sachs)
MDR-Intendantin Karola Wille (4.v.r.) ist die einzige gebürtige Ostdeutsche im Kreise ihrer KollegenBild: WDR/Herby Sachs

Wende war westlich

Die Ursachen für diese westdeutsche Dominanz liegen nach Ansicht von Experten in der Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung begründet. Die DDR trat 1990 "dem Wirkungsbereich des Grundgesetzes" bei, wie es offiziell hieß. "Das hat bedeutet, dass es eine Vielzahl von Positionen gab, die in der ehemaligen DDR unbekannt waren. Und wenn man also diese Strukturen und Organisationen einführen wollte, musste man Westdeutsche dafür nehmen", sagt Raj Kollmorgen im Gespräch mit der DW.

Ähnlich sah es in der Wirtschaft aus: Anfang der 1990er Jahre übernahmen zahlreiche westdeutsche Großkonzerne ostdeutsche Betriebe oder sie expandierten in den Osten. Zahlreiche klein- und mittelständische Unternehmen gelangten in Westbesitz, weil viele Ostdeutsche nicht die nötigen finanziellen Mittel hatten, die privatisierten Betriebe von der Treuhand zu kaufen.

"Defizitäre Demokratie"

Die geringe "Ost-Präsenz" in den deutschen Eliten ist nach Ansicht von Raj Kollmorgen auch durch die Struktur der "sozialen Netzwerke der Macht" begründet, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, "dass Eliten in bestimmten sozialen Kreisen und bestimmten sozialen Netzwerken sich wechselseitig aufeinander verlassen und neue Positionen mit solchen Personen besetzt werden, die man kennt oder die als gleichartig erscheinen oder als gleich mächtig erscheinen." Ostdeutsche seien in diesen Netzwerken so gut wie nicht vertreten und deshalb reproduzierten sich die westdeutschen Eliten immer wieder neu, so Kollmorgen. Dadurch entstehe jedoch eine "defizitäre Demokratie", weil bestimmte Interessenlagen und Kulturen nicht angemessen in die Gestaltung des Gemeinwesens eingebracht werden könnten.

Der Sozialwissenschaftler Ansgar Klein vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) aus Berlin beobachtet, dass viele im Westen beheimatete Unternehmen die neuen Länder als eine Art Labor ansehen, in dem sie neue Strategien erproben können. Wer sich hier bewähre, mache dann Karriere im Westen. Das zu ändern, sei Aufgabe der Konzernleitungen: "Auf dieser Ebene müssen auch die Führungskräfte umschalten. Sie dürfen gerne darüber nachdenken, wie man diese Standorte der Wirtschaft selbstbewusst und mit offenem Visier als eigene Standorte begreift und pflegt, wie man das an anderen Standorten auch macht." Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die Ostdeutschen ihren Landsleuten aus den Alten Bundesländern weiterhin unterlegen fühlen, wie es der Soziologe Kollmorgen besonders bei den heute 35-50-Jährigen festgestellt hat: "Da es nach wie vor so ist, dass die Ostdeutschen nur in geringem Maße über den Habitus der Macht der Positionseliten verfügen, haben sie tatsächlich Nachteile im Rahmen von Karrieren und den Aufstiegsprozessen hin zu den Eliten." Zu lösen sei dieses Dilemma nur durch eine neue Kultur der wechselseitigen Anerkennung, damit sich die Ostdeutschen als vollwertige Bürger des Gemeinwesens fühlen könnten.

Porträt Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (Foto: BBE)
Fordert Selbstbewusstsein für die Neuen Länder: Ansgar Klein (BBE)Bild: Privat