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El-Kaida, die ungreifbare Bedrohung

Constantin Schreiber19. Juli 2006

Seit Jahren geistert ein Name um die Welt, verbreitet Angst und Schrecken: El Kaida. Trotz großer Fahndungen nach den Anhängern dieses Terrornetzes, gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse über El Kaida.

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Beschuss der Bergfestung Tora Bora 2001: El-Kaida umzingelt?Bild: dpa

Nicht einmal der Ursprung des Namens ist eindeutig zu klären - symptomatisch für ein Netzwerk, dessen Struktur und Ausmaß gleichermaßen im Dunkeln liegen. El-Kaida heißt übersetzt "die Basis". Einige behaupten, der Name "Basis" wurde der Gruppe um Osama bin Laden von der US-Regierung gegeben - wegen einer Computer-Datei, die Kontakte von Bin Laden auflistete, und diese Datei hieß "die Basis". Andere behaupten, der Terrorfürst selbst habe seine Trainingslager in Afghanistan, in denen so genannte Dschihadisten ausgebildet wurden, "Basis" genannt.

Kampf gegen "Juden und Kreuzfahrer"

Etwas eindeutiger geklärt ist, wann der Name "El-Kaida" das erste Mal um die Welt ging. Das war 1998, als Bin Laden zur Bildung einer "islamischen Weltfront zum Kampf gegen Juden und Kreuzfahrer" aufrief. Diesen Aufruf unterzeichneten auch Vertreter des islamischen Dschihad und der Gama`a al-Islamiya. Bin Laden erließ, obwohl er kein Rechtsgelehrter ist, eine Fatwa, ein islamisches Gutachten, das den Mord an Juden und Amerikanern für legitim erklärte.

Terroristische Tradition

Aber 1998 war keineswegs das Entstehungsjahr des Netzwerkes. El-Kaida ist im Grunde genommen der Zusammenschluss einzelner Mitglieder diverser Terrorgruppen, die bereits seit Jahrzehnten vor allem in der arabischen Welt aktiv waren.

Zum Beispiel gingen Teile der ägyptischen Muslimbruderschaft im Netzwerk von El-Kaida auf. Die Muslimbruderschaft (el-Ikhwan el-Muslimin) wurde bereits 1928 gegündet und richtete sich ursprünglich gegen die britische Besatzung am Nil. Nach der Unabhängigkeit Ägyptens forderte die Bruderschaft jedoch die Errichtung eines Staates nach islamischen Prinzipien mit Geltung der Scharia als Rechtsgrundlage. Seit den 70er Jahren verfolgte die Gruppe einen toleranteren Kurs, um politisch größeren Einfluss zu gewinnen - was viele Hardliner der Bruderschaft als Verrat an den Grundsätzen der Organisation ansahen. Bei ihnen stieß die Idee eines neuen, transnationalen und radikalen Netzwerkes auf offene Ohren.

Ähnlichen Zulauf erfuhr El-Kaida aus den Reihen der beiden islamistischen Organisationen Gama`a el-islamiya und islamischer Dschihad. Die extremistischen Flügel verurteilten liberalere Tendenzen innerhalb der beiden Gruppierungen. Auch für sie stellte El-Kaida eine Alternative dar.

Die Afghanistan-Invasion

Die 80er-Jahre - also die Jahre nach der Soviet-Invasion Afghanistans, die 1979 begann - gelten als Entstehungsphase El-Kaidas. Gewaltbereite und von fundamentalistischen Ideen getragene Muslime aus verschiedenen islamischen Ländern kamen hier zusammen und hatten die Möglichkeit, sich auszutauschen. Die Rote Armee marschierte im Dezember 1979 in das Land ein und sorgte in der gesamten islamischen Welt für einen Aufschrei der Entrüstung. Viele Menschen solidarisierten sich mit ihren "muslimischen Brüdern", ein kleiner Teil militanter und extremistischer Muslime machte sich auf den Weg, an der Seite ihrer "Brüder" in Afghanistan gegen die rote Bedrohung zu kämpfen.

Die Anlaufstelle dieser gewaltbereiten Gotteskämpfer war das so genannte Maktab al-Khadamat, ein Lager für die Mujahedin, geleitet von einem reichen Mann aus Saudi-Arabien: Osama bin Laden. Hier konnte er Kontakte knüpfen zu jungen Dschihadisten aus allen Teilen der islamischen Welt, der Grundstein für das Terrornetzwerk wurde gelegt. Zum Ende des Mujahedin-Widerstandes in Afghanistan entstand die Idee, die so bezeichneten Freiheitskämpfe auch auf andere Teile der islamischen Welt auszubreiten. Osama bin Laden rief den Dschihad aus.

Heiliger Krieg?

Dschihad wird häufig übersetzt mit "heiliger Krieg". Tatsächlich existiert im Arabischen kein Wort, das "heiliger Krieg" bedeutet. Dschihad heißt vielmehr: Anstrengung. Wenn im Koran vom Dschihad die Rede ist, so bedeutet das die Aufgabe der Gläubigen, sich für eine Verbreitung ihres Glaubens einzusetzen. Grundsätzlich, so betonen islamische Schriftgelehrte, dürfen die "Ungläubigen" aber nur mit Worten überzeugt werden, den Islam anzunehmen. Nur bei einem Angriff auf Muslime, dürfen sie sich mit Waffengewalt verteidigen. Der Begriff "heiliger Krieg" geht auf eine Übersetzungsinterpretation britischer Orientalisten zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zurück.

Osama bin Laden seinerseits pervertierte den Begriff Dschihad. Für ihn und seine Kämpfer sollte es gleich sein, ob Bewaffnete oder Unbewaffnete Menschen getötet werden. In einem Interview mit der Zeitschrift "Middle East Quarterly" sagte er: "Wir unterscheiden nicht zwischen Leuten in Militäruniform und Zivilisten." Sein Dschihad beziehe sich "auf alle, die Anteil haben an der Ermordung von Muslimen und am Angriff auf Heilige Stätten sowie auf jene, die den Juden helfen, muslimisches Land zu besetzen".

Das Interview gab er 1998. Drei Jahre später sollten seine Terrorkämpfer knapp 4000 Zivilisten bei den Anschlägen von News York und Washington ermorden.

Ziel: Kalifat

Die Ziele von El-Kaida unterscheiden sich von denen früherer extremistischer Gruppierungen, die sich zumeist auf nationale Aspekte bezogene Themen begrenzten. Das erklärte Ziel Osama bin Ladens und seiner Anhängerschaft ist, so stellen es die Geheimdienste dar, die Errichtung eines Kalifats über die gesamte islamische Welt.

Das Wort Kalif bedeutet "Nachfolger" und steht für den Nachfolger Muhammeds auf Erden. Das Kalifat ist demnach eine islamische Regierungsform, bei der die säkulare und weltliche Macht in einer Person vereint ist. Dabei geht es nicht um eine Erbherrschaft, der Kalif soll von der "umma", der Gemeinschaft der Gläubigen, immer wieder neu bestimmt werden. Der Unterschied zwischen einem Immam, einem Prediger, und einem Kalifen, ist, dass dieser auch militärische Macht innehat.

Die Radikalen sehen das Kalifat als die traditionelle islamische Herrschaftsform an: nach dem Tod des Propheten wählte eine Schura, eine große Versammlung, im Jahr 632 aus der Mitte der Stammesfürsten einen Nachfolger, der die junge islamische Gemeinde weiterführen sollte. Für fast 1300 Jahre standen die Kalifen danach an der Spitze der islamischen Welt. Die türkische Regierung schaffte als letzte im Jahre 1924 den Titel "Kalif" ab.

Wie arbeitet El-Kaida?

Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Terrornetzwerkes gehen die Sicherheitsdienste davon aus, dass El-Kaida keine straff organisierte Gruppe ist, sondern aus dezentral arbeitenden Terrorgruppen und Terrorzellen besteht. Persönliche Kontakte scheinen für den Informationsaustausch und die Weitergabe technischen Know-hows ausschlaggebend zu sein. Die Dezentralisierung El-Kaidas soll angeblich soweit gehen, dass Osama bin Laden zwar Identifikationsfigur des Netzwerkes ist, aber auch bei ihm nicht die Fäden der Gruppe zusammenlaufen. Vielmehr könne man El-Kaida mit einem Franchisingsystem vergleichen: Wenn ein Extremist mit dem passenden ideologischen Unterbau ein Attentat verübt, kann er es im Namen El-Kaidas tun. El-Kaida wäre demnach nicht eine Organisation im engeren Sinne, sondern vielmehr eine Idee.