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Eintauchen in virtuelle Welten

Elizabeth Grenier (js)16. April 2016

In Berlin hat eines der ersten Virtual-Reality-Kinos der Welt eröffnet. DW-Reporterin Elizabeth Grenier hat ihre Brille gegen eine VR-Brille getauscht - und den Ausflug in die virtuelle Realität unversehrt überstanden.

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Kino-Besucherin trägt eine VR-Brille (Foto: samhoud media)
Bild: samhoud media

Ich war ein wenig nervös auf meinem Weg zum Virtual Reality Kino. Wegen der drohenden "Virtual Reality Übelkeit" fragte ich mich, ob es nicht sicherer wäre mit leerem Magen aufzukreuzen oder ob ich doch noch schnell ein Sandwich herunter schlingen sollte? Ich entschied mich gegen das Sandwich - ich hatte sowieso kaum Zeit.

Das Virtual-Reality-Kino in Berlin wurde von samhoud media gegründet, einer niederländischen Produktionsfirma, die der 26-jährigen Unternehmer Jip Samhoud leitet. Im März 2016 eröffnete er ein VR-Kino in Amsterdam. Es war das erste der Welt.

Das Berliner Kino befindet sich hinter dem Roten Rathaus, nicht weit entfernt vom Alexanderplatz. Man muss durch einige große Innenhöfe gehen, bevor man das Kino erreicht. Ein Holzkorridor mit Party-Bannern im Hipster-Stil und Urban Art an den Wänden führt zum Eingang.

Das war nicht, was ich erwartet hatte. Ich hatte eher das Gefühl, in einem der angesagten Berliner Szeneclubs an der Spree zu sein, als in einem High-Tech-VR-Kino. Die Mädchen, die mich am Eingang begrüßten, bestätigten meinen Eindruck: "In diesem Gebäude sind auch ein Club und Künstlerwerkstätten - die Spreewerkstätten."

Ich ging die Treppe einer alten Fabrik hinauf, durchquerte oben ein paar alte Waschräume, um schließlich in der Lobby des Kinos anzukommen. Sie erinnerte mich an eine Flüsterkneipe, in der illegal Alkohol ausgeschenkt wird. Angesteckt von der Atmosphäre entschied ich mich, meine Regel, mit leerem Magen ins VR-Kino zu gehen, über Bord zu werfen. Ich genehmigte mir ein Glas Rotwein und griff zum Gratispopcorn.

Eine Kiste alter schwarz-weiß Fotografien an der Bar des Berliner Virtual Reality Kinos (Foto: samhoud media)
Kino mit Charme: Eine Kiste mit alten schwarz-weiß Fotografien steht an der BarBild: DW/E. Grenier

Retro trifft Zukunft im VR-Kino

Der Location-Manager Michael Yosef erzählte mir unterdessen von der Standortsuche. "Im Grunde genommen wollten sie nur 'irgendetwas Cooles' haben", sagte er und zeigte auf einen anderen Raum mit Duschen, die aber nicht mehr funktionierten. Das sei ein früher ein Waschraum der Fabrikarbeiter gewesen, erklärte er. Der Techno-Club Praegewerk liegt darunter.

Neben Retro-Objekten und skurrilen Bildern, schmückten auch Zitate aus der Kinogeschichte den Raum, zum Beispiel von F. T. Marinetti, der im Jahr 1916 das Manifest des futuristischen Kinos publiziert hat. "Das Ziel war, eine Mischung zu finden zwischen der Zukunft - dem VR Kino - und einer Retro-Atmosphäre, die uns in die Anfänge des Kinos katapultieren soll", sagte Pascal Steeghs, der Sprecher des VR-Kinos.

Reise in Dalis surreale Welt

Es wurde Zeit, endlich der virtuellen Realität entgegen zu treten. Gemeinsam mit den anderen Kinobesuchern betrat ich einen zweiten Raum, in dem schwenkende Sessel, VR-Brillen und Kopfhörer auf uns warteten. Mir wurde gesagt, dass ich die VR-Brille auch ohne meine Brille benutzen könnte. Also nahm ich sie ab und fühlte mich direkt ziemlich unbeholfen.

DW-Reporterin Elizabeth Grenier trägt eine VR-Brille (Foto: samhoud media)
DW-Reporterin Elizabeth Grenier hat ihre gewöhnliche Brille gegen eine VR-Brille eingetauschtBild: DW/E. Grenier

"Vergessen Sie nicht, den Kopf zu drehen und ihn während des Films zu bewegen", sagte der Gründer des Kinos, Jip Samhoud, in seiner kurzen Einführung. In diesem Moment wurde mir klar, dass mir dabei meine Tasche und mein Weinglas im Weg standen. In meinem blinden Zustand, meine Sachen zusammenzusuchen, war die nächste große Herausforderung. Da war es beruhigend, dass uns mehrere Mitarbeiter beim Einstieg in die virtuelle Realität halfen. Los ging's mit einer Reise ins Uniersum Salvador Dalis, wo langbeinige Elefanten inmitten einer surrealen Wüste herumliefen.

Allein in der VR-Blase

Obwohl wir alle in einem Raum saßen, gab es keinen offiziellen Anfang des Films. Jeder verschwand in seiner eigenen VR-Blase. So konnte es schon vorkommen, dass man mit den Knien den Nachbarn streifte, während man sich auf dem Stuhl drehte.

Neben der Dali-Traumsequenz wurden verschiedene Kurzfilme in dem 30-Minuten-Programm gezeigt: ein animierter Kurzfilm, ein Musikclip, in dem die Musiker um den Betrachter herum spielten, eine weitere bizarre Sequenz und schließlich ein Kurzfilm, der vom Kinogründer selbst gedreht worden war.

Jip Samhoud und Michael Yosef (Foto: samhoud media)
Jip Samhoud (li.), Gründer des Virtual-Reality-Kinos und Michael Yosef (re.), der Location-ManagerBild: samhoud media

"Ich will Menschen inspirieren, eine neue Realität zu sehen"

Jip Samhouds Film "In Your Face" ist mit zwei niederländischen Topschauspielern besetzt, die in dem Film ein Paar spielen, das plötzlich Besuch von einem Reality-TV- Filmteam bekommt. Die TV-Leute bringen das Paar in Verlegenheit, indem sie sie Fragen, ob sie nicht einen Flüchtling in ihrer schicken Wohnung aufnehmen könnten. Immerhin hatten die beiden Promis schon häufiger öffentlich erklärt, dass sie Flüchtlinge unterstützen würden. Daher sollten sie natürlich bereit sein, einen Flüchtling in ihrem Leben willkommen zu heißen.

Das Paar versucht die ihm sichtlich unangenehme Situation professionell wegzulächen und streitet darüber, was nun zu tun sei. Schließlich wenden sich die beiden an uns, die Zuschauer, und durchbrechen so die vierte Wand - oder wie auch immer man die Publikumsansprache in der virtuellen Welt nennen mag - und bekräftigen, dass - da sie nur virtuell sind - wir diejenigen seien, die im realen Leben aktiv werden können.

"Ich will Menschen inspirieren, eine neue Realität zu sehen", sagte Regisseur Jip Samhoud mir hinterher, der unbedingt ein soziales Problem in seinem ersten VR-Film thematisieren wollte. Die Flüchtlingskrise wird heiß diskutiert in den Niederlanden, genauso wie in Deutschland.

Wilder Genremix im VR-Kino

Die Mischung der Genres im Filmprogramm macht es schwierig, die VR-Erfahrung einem bestimmten Publikum zu empfehlen. Samhoud ist sich dessen bewusst: "Wir wollen zu Beginn erst einmal einen breiten Überblick geben, aber jeden Monat kommen neue Programme dazu. Irgendwann werden wir für ein Programm auch zum Beispiel spezielle Horror- oder romantische Filme zusammenstellen", sagte er.

Filmposter im VR-Kino (Foto: samhoud media)
Retro-Filmposter verbinden die spannenden Versprechen des frühen Kinos mit der virtuellen RealitätBild: DW/E. Grenier

Aktuell arbeiten sie noch daran, genügend Material zu sammeln. Allein das ist eine Herausforderung, da das VR-Kino noch jung ist. "Wir sind momentan in Kontakt mit jedem VR-Produzenten der Welt", erklärte der junge Geschäftsmann.

VR-Filme fordern Regiseure und das Publikum gleichermaßen

Das Virtual-Reality-Kino steckt noch immer in den Kinderschuhen. Es ist eine große Herausforderung als Regisseur den Fokus der Zuschauer auf etwas Bestimmtes zu lenken. "In Horrorfilmen könnten sie einfach acht Zombies einsetzen, um sicher zu gehen, dass der Zuschauer ein unvergessliches Erlebnis hat", erklärt Samhoud.

Glücklicherweise gab es an diesem Abend keine extremen Achterbahnfahrten oder achtköpfige Monster im Programm. Wegen meiner schlechten Augen fühlte ich mich aber an den Stress erinnert, den der Sehtest beim Augenarzt in mir auslöst. Ich bekam leichte Kopfschmerzen, aber trotz des Weins ist mir nicht übel geworden. Jip Samhoud bestätigte, dass meine Kurzsichtigkeit es nicht ausgleicht, dass die Bilder noch nicht perfekt sind. "Wir sind immer noch auf ganz am Anfang der virtuellen Realität. Noch ist sie nicht wie das wirkliche Leben - aber da wird sie noch hinkommen", sagte er mit einem charmanten Lächeln. Ob diese Vorstellung reizvoll ist oder nicht, darüber lässt sich streiten. Doch als einer der Pioniere des VR-Kinos, wird der junge Unternehmer und Filmregisseur Jip Samhoud auf jeden Fall gut aufgestellt sein, wann immer seine Vermutung Realität wird.