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Einsatz auf Bewährung

Günter Knabe22. Dezember 2001

Interimsregierung und internationale Schutztruppen in Afghanistan. Ein Kommentar von Günter Knabe.

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Eine Zeit der Bewährung beginnt für die Afghanen. Die
Übergangsregierung hat ein schweres Amt angetreten. Die Frauen und Männer in diesem Kabinett müssen jetzt beweisen, dass sie nicht nur willens, sondern auch fähig sind, ihr Land zurück zu normalen Verhältnissen zu führen. Bewährungshelfer werden ihnen dabei zur Seite gestellt. Die internationale Schutztruppe (International Security Assistance Force/ISAF) der Vereinten Nationen soll zumindest in der Hauptstadt Kabul und ihrer näheren Umgebung für so viel Sicherheit sorgen, dass die neue Regierung ohne Bedrohung arbeiten kann.

Erfolg oder Misserfolg sowohl der Interimsregierung als auch der ausländischen Soldaten hängen eng miteinander zusammen. Beide treten einen schweren Gang an. Skepsis und Zweifel, ob es ihnen gelingt, die gesetzten Ziele zu erreichen, haben nicht nur Beobachter. Viele der Mitglieder des neuen Kabinetts haben selbst erkannt und erklärt, dass ihr Erfolg keineswegs garantiert ist. Und die Regierungen, die
bereit sind, Soldaten nach Afghanistan zu entsenden, sind sich bewusst, dass dies der bislang schwierigste Friedenseinsatz unter UNO-Mandat sein wird. Diese Ansicht teilt auch die deutsche Bundesregierung.

Der Übergangsregierung mangelt es vor allem an Akzeptanz in Afghanistan. Sie gilt weiten Teilen der Bevölkerung, nicht nur bei den Paschtunen, als von außen importiert. Tatsächlich ist der Chef dieser Regierung, Ministerpräsident Hamid Karsai, ein Mann, den die USA schon vor Beginn der Verhandlungen auf dem Petersberg bei Bonn als ihren Mann an der Spitze des neuen Afghanistan haben wollten. Das schwächt ihn und seine Regierung schon vor dem Amtsantritt.

Dabei müssen sie gewaltige Aufgaben erledigen. Der Wiederaufbau Afghanistans beginnt bei Null. Gewiss, materielle Hilfe werden die Afghanen reichlich bekommen. Sie wird vielleicht sogar zu reichlich sein und eigene Initiativen lähmen, die Korruption hingegen aufblühen lassen. Geld allein hilft den Afghanen nicht. Vor allem Fachleute werden dringend benötigt. Die gibt es in Afghanistan nicht mehr. Und es ist fraglich, ob die vielen gut ausgebildeten Exilanten, die ihr Leben in Europa und Amerika seit Jahren gut eingerichtet haben, zur Rückkehr in ihre zerstörte Heimat bereit sind. Modelle aber, die dem Land von ausländischen Fachleuten
übergestülpt werden, scheitern meistens, weil sie von den Afghanen nicht akzeptiert werden.

Das Land ist noch immer ein großes Waffenlager. Die Zahl der Minen kann nur grob nach Millionen geschätzt werden. Mohnanbau und Opiumgewinnung waren und sind noch immer sprudelnde Geldquellen für alle Parteien und viele Stammes-Chefs und War-Lords. Das alles sind große Hürden auf dem Weg zu stabilem Frieden. Allein die Aufgabe, in der Hauptstadt Kabul alles Kriegsgerät einzusammeln und bewaffnete Zusammenstöße zwischen den verschiedenen Milizengruppen zu verhindern, würde die afghanische Übergangsregierung überfordern.

Deswegen ist der Einsatz der internationalen Schutztruppe notwendig. Aber sie ist keineswegs bei allen Afghanen wirklich willkommen. Noch nicht einmal alle Angehörigen der neuen Verwaltung begrüßen ihren Einsatz. Bis zuletzt wurde über Zahl und Auftrag der ausländischen Soldaten gestritten - sowohl unter den entsendenden Regierungen als auch innerhalb der neuen afghanischen Führung und zwischen dieser Regierung und den Vereinten Nationen als Mandatsmacht.

Einigung wurde buchstäblich in letzter Stunde erzielt. Der Einsatz bleibt dennoch politisch heikel und ist militärisch riskant. Es ist deswegen richtig, dass die UNO darauf bestanden hat, dass diese Truppe entsprechend Artikel 7 der UN-Charta in Afghanistan agieren kann - also auch mit Waffengewalt Frieden erzwingen kann. Zugleich aber erhöht diese Regelung die Gefahr, dass es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und den internationalen Streitkräften kommt.

Im Westen und besonders in Deutschland mag man erleichtert sein, dass Großbritannien deren Führung für drei Monate übernehmen will. Das afghanische Volk ist darüber bestimmt nicht erfreut. Die Briten, die drei Feldzüge zur Unterwerfung der Afghanen geführt haben, sind dort noch immer unbeliebt. Es kommt hinzu, dass sie als engste
Partner der Vereinigten Staaten beim Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan bereits aktiv sind. Das bedeutet, dass britische Soldaten einerseits in Afghanistan Krieg führen und andererseits den Frieden sichern sollen. Das erscheint nicht nur den Afghanen fragwürdig.

Washington hat sich ohnehin vorbehalten, zu bestimmen, was in Afghanistan militärisch und politisch geschieht. So hat man sogar verabredet, dass die amerikanischen Kampftruppen in Afghanistan den internationalen Friedenstruppen zu Hilfe kommen, wenn diese sich selbst nicht ausreichend verteidigen können. Das ist schon eine seltsame Konstruktion.

Die Afghanen und ihre neue Regierung müssen die Bewährung selbst bestehen. Die Weltgemeinschaft und gerade auch Deutschland tragen große Verantwortung dafür, ihnen dabei nach Kräften zu helfen. Dazu gehört auch, die USA immer wieder daran zu erinnern, dass es am Hindukusch nicht nur um Amerikas Interessen geht - sondern vor allem um das Schicksal der Afghanen.