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Einsamkeit ist ansteckend

2. Dezember 2009

Wer alleine ist, fühlt sich nicht automatisch einsam. Oft fühlen wir uns einsam, wenn wir innerhalb einer Gruppe sind. Und wir können die anderen Gruppenmitglieder sogar mit der Einsamkeit anstecken.

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Strandspaziergänger an der Nordseeküste (Foto: AP)
Bild: AP

Jeder fühlt sich mal einsam. Ob alleine zu Hause oder mitten im Einkaufsrummel unter tausenden anderen Miteinkäufern. Es gibt Menschen, die fühlen sich schneller und öfter einsam als andere. Bislang ging man davon aus, dass dieses Gefühl durch ein Ereignis ausgelöst werden kann oder durch die Lebensumstände, sogar durch eine Veranlagung in der eigenen Persönlichkeit. Aber eine Studie aus den USA zeigt, dass Einsamkeit etwas ist, was über diese Erkenntnisse noch hinaus geht.

Traurige Infektion

John Cacioppo, Nicholas Christakis und James Fowler, Psychologen und Soziologen an den Universitäten in Chicago, Harvard und San Diego, haben sich für die aktuelle Studie über Einsamkeit zusammen getan. Einsamkeit ist laut Cacioppo ein soziales Phänomen, das in der Gesellschaft existiert und sich sogar von Person zu Person verbreiten kann wie eine Infektion.

Familie beim Spaziergang (Foto: dpa)
Je enger die Kontakte innerhalb einer Gruppe, desto ansteckender ist EinsamkeitBild: picture-alliance/ dpa

Für die Einsamkeitsstudie werteten die Forscher die Sozialkontakte von mehr als 5100 Menschen über zehn Jahre lang aus. Sie erfassten regelmäßig, wann sich die Probanden einsam gefühlt hatten und wie das Befinden von Freunden und Familie war. Heraus kam unter anderem: wenn ein Proband angab, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt einsam gefühlt zu haben, war die Wahrscheinlichkeit, dass sich Mitglieder seiner Familie oder enge Freunde zwei Jahre später auch einsam fühlten, um 52 Prozent höher. Am stärksten war der Effekt wenn die Beziehungen eng waren. Er zeigte sich aber auch noch über mehrere Ecken. Eine Person, die sich einsam fühlte, beeinflusste auch noch, dass sich der Freund des Freundes seines Freundes einsam fühlte.

Gesellschaft als Bedrohung

"Man hat Einsamkeit immer begriffen als eine Form von Depression, Introvertiertheit, Schüchternheit oder die Folge von gering ausgeprägten sozialen Fähigkeiten“, sagt John Cacioppo. "Unsere Untersuchung und die von anderen zeigen aber, dass es in Wahrheit ein fundamentaler menschlicher Gemütszustand ist – so ähnlich wie Hunger, Durst oder Schmerz.“ Einsamkeit sei ein Indikator dafür, wie gut eine Gesellschaft funktioniere, wie sozial sie sei und wie erfolgreich sie Menschen integriere.

Mann wartet am Bahnhof (Foto: Bilderbox)
Wer lange einsam ist, verhält sich abweisendBild: Bilderbox

Sich ab und an einsam zu fühlen, sei völlig natürlich und normal, aber laut Cacioppo und seinen Kollegen zeigt ihre Studie, dass sich anhaltende Einsamkeit auch wie ein Geschwür innerhalb einer Gesellschaft ausbreiten könne. Menschen, die sich über lange Zeitz einsam fühlten, sähen die Gesellschaft als Bedrohung. "Sie sind sich dessen vielleicht nicht bewusst, aber einsame Individuen denken negativ über andere Menschen“, sagt Cacioppo. Und sie würden sich entsprechend gegenüber anderen negativ verhalten. Vielleicht nur mit negativen Gesichtsausdrücken, gemeinen Kommentaren oder ablehnender Körpersprache, aber das führe nach einer Weile dazu, dass sich andere Menschen von dem einsamen Menschen abwenden.

Kreislauf der Isolation

"Wenn ich mich aus meiner Einsamkeit heraus einem Freund gegenüber ständig negativ verhalte, würde unsere Freundschaft nach einer Weile enden. Wenn sich mein Freund davor von mir beeinflussen lässt, fängt er auch an, andere Menschen weniger gut zu behandeln. Wodurch er wiederum auch Freunde verlieren kann. Das ist in unseren Augen die Übertragung der Einsamkeit“, so Cacioppo. Mit der Zeit bewegten sich einsame Menschen dann immer mehr am Rand von sozialen Gruppen, lebten immer isolierter.

Zahlreiche Menschen in einer Fußgängerzone (Foto:
Einsamkeit kann ein Indikator für den Zustand einer Gesellschaft seinBild: DPA

Je nachdem ob sich viele Menschen innerhalb eines Wohnkomplexes oder bei der Arbeit einsam fühlen oder nicht, könne das ein Indikator dafür sein, wie gut oder schlecht der Zusammenhalt in der sozialen Gruppe sei. Um das Problem zu lösen, könne man nicht einfach nur bei den einzelnen Individuen ansetzen. Hier seien Arbeitgeber oder Städteplaner gefragt, die die Interaktion innerhalb der Gruppenmitglieder stärken müssten. Zum Beispiel durch regelmäßige Treffen oder Projekte, bei denen die Fähigkeiten und der Input von allen Mitgliedern gefragt seien.

Autorin: Marlis Schaum/AFP/www.time.com

Redaktion: Petra Lambeck