1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Colonia"-Mittäter mit Absicht eingeladen

2. August 2016

Der Besuch des Bundespräsidenten in Chile hat ein Nachspiel. Die Einladungsliste zu einem Empfang in der deutschen Botschaft ruft Empörung hervor - weil Verantwortliche der "Colonia Dignidad" zu den Gästen gehörten.

https://p.dw.com/p/1JaRa
Chiles Präsidentin Michelle Bachelet empfängt ihren deutschen Amtskollegen Joachim Gauck (Archivbild: dpa)
Chiles Präsidentin Michelle Bachelet mit ihrem deutschen Amtskollegen Joachim Gauck (Archivbild)Bild: picture alliance/dpa/M. Ruiz

Was sich anhört wie ein peinliche Panne, war in Wahrheit Vorsatz. Als Bundespräsident Joachim Gauck im Juli Chile besuchte, gab es auch einen Empfang in der deutschen Botschaft. Dass dort zwei Männer auftauchten, die in der früheren Siedlung "Colonia Dignidad" leitende Positionen innehatten, sorgte für einen Eklat.

Doch die Einladung des wegen Kindesentführung und -missbrauchs zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Reinhard Zeitner - einst Sicherheitsmann der "Colonia Dignidad" - und des ehemaligen Leiters der juristischen Abteilung, Hans Schreiber, geschah in voller Absicht, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag offenbart.

"Ein Schlag ins Gesicht der Opfer"

Die Namen gerieten also nicht aus Versehen auf die Gästeliste - sondern ganz bewusst "nach einem Abwägungsprozess", der die "Vergangenheit und gegenwärtige Positionierungen der betreffenden Personen einbezogen hat". Dabei habe die deutsche Botschaft in Chile dem Umstand Rechnung getragen, "dass Grenzen zwischen Tätern und Opfern in einem geschlossenen verbrecherischen System wie der Colonia Dignidad nicht mit letzter Trennschärfe zu ziehen" seien. "Viele frühere Bewohner der Colonia wurden zur Täterschaft gezwungen, waren aber selbst Opfer", heißt es im Antwortschreiben des Auswärtigen Amtes.

Das Haupttor der Siedlung "Colonia Dignidad" im Jahr 1988 (Archivbild: dpa)
Das Haupttor der Siedlung "Colonia Dignidad" im Jahr 1988 (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/O. Schmid

Der stellvertretende Vorsitzende der Linken im Bundestag, Jan Korte, ist über diese Zeilen entsetzt. Er erklärte, derlei Abwägungen verharmlosten schwerste Straftaten und seien "ein Schlag ins Gesicht der Opfer". Korte forderte, die Zusammenarbeit der deutschen Botschaft mit der Führungsriege der heutigen "Villa Baviera", besonders mit verurteilten Straftätern, müsse eingestellt werden. Die Botschaft pflegt nach Angaben des Auswärtigen Amtes weiterhin regelmäßigen Kontakt zur Nachfolgeorganisation der "Colonia", aber auch zu Opfervertretern.

Bis 1987 Menschenrechtsverletzungen ignoriert

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Stephan Steinlein, hatte auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion bereits im Juli eingeräumt, dass die Bundesregierung bis 1987 Menschenrechtsverletzungen in der Siedlung ignoriert und sich schützend vor die "Colonia Dignidad" gestellt habe.

Unter der autoritären Führung des aus Deutschland ausgewanderten Paul Schäfer wurden in der stark gesicherten Siedlung unter religiösem Deckmantel Verbrechen wie systematischer Kindesmissbrauch verübt. Der chilenische Geheimdienst folterte während der Diktatur von Augusto Pinochet auf dem Gelände Oppositionelle. Schäfer wurde 2006 zu langer Haft verurteilt. Er starb 2010 im Gefängnis. Die 1991 in "Villa Baviera" umbenannte Anlage liegt rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. Heute lockt sie mit bayerischer Folklore Touristen an.

jj/uh (dpa, epd)