1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Einigung auf EU-Verfassung noch möglich?

Bernd Riegert8. Dezember 2003

Eine Liste von etwa 100 strittigen Fragen schiebt die Regierungskonferenz der Europäischen Union zur neuen Verfassung vor sich her. Einigkeit gibt es nur in wenigen Punkten.

https://p.dw.com/p/4PtR
Chancen auf Einigung auf EU-Verfassung bei 50 Prozent

Die Liste der Änderungswünsche reicht von heiklen emotionalen Punkten wie dem Gottesbezug bis zu technischen Details der Energie-Besteuerung. Die Delegationen stellen sich auf harte Verhandlungsnächte und auf eine mögliche Verlängerung des Gipfel-Treffens ein. Die Chancen für einen endgültigen Abschluss der Verfassungsverhandlungen stehen nach Einschätzung von EU-Diplomaten 50:50.

Die Positionen zu den wichtigsten Knackpunkten haben sich in den Verhandlungsrunden seit Beginn der Regierungskonferenz Anfang Oktober in Rom nicht sehr verändert. Nur in der Verteidigungspolitik haben sich die EU-Staaten auf ein deutsch-französisch-britisches Konzept verständigt. Dies sieht die Schaffung einer Planungs- und Führungs-Einheit für militärische Missionen der EU vor, die aber nicht den Status eines Hauptquartiers haben soll. Parallele Strukturen zur NATO, die die erste Wahl für Militäraktionen bleiben soll, werden nicht geschaffen. Eventuelle Einsätze unter dem blau-gelben Sternenbanner der EU müssen von allen 25 Staaten einstimmig beschlossen werden.

Skeptische Amerikaner

Mit diesem Kompromiss, den Großbritannien eng mit den stets skeptischen amerikanischen Verbündeten abgestimmt hat, sind nun alle Seiten zufrieden - auch wenn der ursprüngliche Plan des Vierer-Gipfels im Frühjahr mit Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg wesentlich weiter ging: Sie wollten völlig unabhängige Militär-Operationen mit einem EU-Hauptquartier in Brüssel.

In der Frage des Abstimmungsmodus für die erweiterte Union, die vom 1. Mai an 25 Staaten umfassen wird, gibt es keine Bewegung. Spanien und Polen verteidigen nach wie vor beharrlich den Vertrag von Nizza, der mittelgroßen Staaten fast genauso viel Stimmrecht einräumt wie dem von der Bevölkerungszahl her gesehen doppelt so großen Deutschland. Der Verfassungskonvent hatte nach 18-monatiger Beratung im Sommer einen Modus vorgeschlagen, der die großen Staaten stärken würde. Der Abstimmungsmodus von Nizza gilt noch bis 2009. Erst dann soll er vom neuen Verfassungsvertrag - falls er zustande kommt - abgelöst werden.

"Rote Linien" ausloten

Die Außenminister wollen bei ihrem letzten Treffen vor dem Gipfel ausloten, ob überhaupt noch Verhandlungsbereitschaft besteht. Joschka Fischer wird am Montagabend (8.12.) nach Paris reisen, um noch letzte Absprachen zu treffen. Deutschland und Frankreich wollen am Entwurf des Konvents festhalten und haben selbst keine Änderungsanträge vorgelegt.

Zugeständnisse an die kleineren Mitgliedsstaaten sind bei der Zusammensetzung der EU-Kommission, der Verwaltungsspitze in Brüssel, möglich. Es deutet sich an, dass jedes Land einen Kommissar entsenden darf, obwohl der Verfassungsentwurf eine verkleinerte Kommission von nur 15 Mitgliedern vorsieht. Das Mehr an Bürokratie müsse man als Preis einer möglichen Einigung wohl hinnehmen, seufzen deutsche EU-Beamte.

Kompromiss zum Gottesbezug

Der italienische Kompromissvorschlag zum Gottesbezug wird von Frankreich und Belgien weiter abgelehnt. Die Italiener hatten, unterstützt von den ebenfalls katholischen Ländern Polen und Spanien, angeregt, das Erbe des christlichen und jüdischen Glaubens in der europäischen Verfassung zu erwähnen, gleichzeitig aber klar zu stellen, dass die europäischen Institutionen scharf zwischen Staat und Kirche trennen.

Einig sind sich die Außenminister ausnahmsweise bei einem Strategieentwurf für die künftige europäische Sicherheitspolitik, die nicht Teil der Verfassungsdebatte ist.

Sollte die Verabschiedung einer Verfassung misslingen, würde die EU nach Ansicht von Diplomaten in Brüssel in eine tiefe Krise schlittern. Wichtige Personal- und Finanzentscheidungen würden blockiert. Eine Gruppe von Staaten, das berühmte "Kerneuropa", könnte dann versuchen, außerhalb der eigentlichen EU-Verträge andere Formen der Zusammenarbeit zu finden und enger zu kooperieren als der Rest der Mitgliedsstaaten.