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Eingliederung kontra Minderheitenschutz

Britta Kleymann7. September 2004

In Lettland trat ein neues Schulgesetz in Kraft. Seit Monaten sorgt es für große Aufregung und sogar Massenproteste. Die russische Minderheit im Land sieht ihre Identität in Gefahr.

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Russen in Lettland fürchten um ihre IdentitätBild: AP

In Lettland lebt die weitaus größte russischsprachige Minderheit innerhalb der EU: Knapp ein Drittel der gut zwei Millionen Einwohner Lettlands sind ethnische Russen. Für sie gibt es spezielle Schulen, in denen auf Russisch unterrichtet wird - ein Erbe aus der sowjetischen Zeit. Unterricht auf Russisch wird es auch nach dem umstrittenen neuen Schulgesetz vom 1.9.2004 geben - mit einer entscheidenden Änderung: Ab der zehnten Klasse soll jetzt der Unterricht zu 60 Prozent in lettischer Sprache erteilt werden.

Das Zauberwort lautet Integration

Das wollen die Vertreter der russischen Minderheit nicht akzeptieren. Schon seit Monaten rufen sie zu Protesten und Schulboykott auf, sogar einen Hungerstreik hat es gegeben. Die lettische Regierung kann diese Aufregung nicht verstehen. Aus ihrer Sicht ist das neue Schulgesetz unbedingt notwendig, betont der lettische Integrationsminister Nils Miuznieks: "Wir können es uns nicht leisten, eine Generation heranzuziehen, die wegen mangelnder Sprachkenntnisse sozial und gesellschaftlich isoliert ist."

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Integration - so lautet das Zauberwort. Bei der russischen Minderheit ist es besonders schwierig - viele haben keinen lettischen Pass und gehören zur Gruppe der so genannten "Nichtbürger". Damit sind sie auf vielen Gebieten benachteiligt, aber nicht ohne Rechte. Denn auch mit dem neuen Gesetz bleibt der Minderheitenschutz grundsätzlich erhalten, erklärt Matthias Hartwig, Jurist am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Verwaltung.

Kein Verstoß gegen den Minderheitenschutz

Hartwig weist darauf hin, dass der Minderheitenschutz nicht verlange, dass die Minderheiten ihren gesamten Schulunterricht in ihrer Muttersprache durchführen. Es werde umgekehrt nur verlangt, dass der Staat die Möglichkeit geben muss, dass diese Minderheiten ihre Sprache auch unterrichten könnten. Damit sei impliziert, dass der Staat die Möglichkeit habe, auch zu verlangen, dass die Staatssprache gelernt wird, so dass das neue Schulgesetz Lettlands in keiner Weise gegen die vertraglichen Standards des Minderheitenschutzes verstoße, sagt der Jurist.

Dieser Meinung sind bisher auch die internationalen Organisationen. Rolf Ekeus, Hoher Kommissar für Nationale Minderheiten bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), nennt die Bildungsreform "schmerzlich, aber notwendig". Vor dem Beitritt Lettlands in die Europäische Union gab es aus Brüssel immer wieder Appelle an die Regierung, die russische Minderheit besser zu integrieren. Das neue Schulgesetz wird als ein Schritt in die richtige Richtung bewertet - deshalb will man sich vorerst nicht in die Auseinandersetzungen einschalten.