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Einen Bogen um die Börse

Mario Polzer23. Dezember 2002

Viele deutsche mittelständische Unternehmen sind so groß, dass sie an die Börse gehen könnten, um sich frisches Kapital von den Anlegern zu holen. Doch die meisten wollen nicht. Mario Polzer erklärt, warum dies so ist.

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Kein lohnendes Ziel für solide Familien-UnternehmenBild: Deutsche Börse AG

"Für uns ist die Börse kein Thema", sagt Günter Wulf. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Ketten Wulf in Eslohe. Mittelständisch, zwar in der Öffentlichkeit kaum bekannt, aber die Nummer eins auf dem europäischen Markt für Förderketten - was aus dem 1925 von Günter Wulfs Großvater gegründeten Betrieb gewachsen ist, kann sich sehen lassen. Nur eins will der Chef nicht: das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umwandeln. Das soll auch in der vierten Generation so bleiben, sagt Günter Wulf:

"Wir sind ein reiner Familienbetrieb. Mittlerweile haben wir eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gegründet, mit der ich meine Kinder am Unternehmen beteiligt habe, sodass ich jetzt schon Teile an meine Kinder weitergebe. Ich muss ja mit 54 Jahren so langsam an mein Abtreten denken."

Tradition statt Börsengang

Der Industriebetrieb aus dem Sauerland ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Familienunternehmen mit Tradition: Sie meiden die Börse. Und das nicht etwa, weil der Aktienboom in Deutschland seit zwei Jahren vorbei ist und der Deutsche Aktienindex DAX im Jahr 2002 noch einmal fast die Hälfte an Wert verloren hat. Ein Börsengang gefährdet den Erfolg des Unternehmens, ist sich Günter Wulf sicher: "Ich kann ganz alleine bestimmen, ohne jemanden rückzufragen. Ich habe es dann auch allein zu verantworten. Sie werden unbeweglich, wenn Sie die ganzen Gremien erst einberufen müssen, zum Beispiel bei Investitionen. Bis die tagen, ist die Zeit schon weggelaufen."

Andere Familienunternehmen sehen das genauso. Zum Beispiel Hipp, der Hersteller von Babynahrung. Die Firma beschäftigt 900 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von 250 Millionen Euro pro Jahr. Seit der Gründung 1932 gilt das Prinzip, dass nur Familienmitglieder Gesellschafter werden können.

Beispiel Melitta

Oder Melitta: Anfang des vergangenen Jahrhunderts erfand die Hausfrau Melitta Bentz den Kaffeefilter. Heute ist Melitta eine Gruppe von 50 Firmen mit einem Jahresumsatz von zusammen 1,4 Milliarden Euro. Zu den Produkten gehören Kaffee, Kaffeemaschinen, Frischhaltefolie, Gefrierbeutel und Müllbeutel. Geschäftsführer sind die drei Enkel von Melitta Bentz.

Dass diese Firmen nicht an der Börse notiert sind, hat einen weiteren Grund. Die Chefs können langfristige Entscheidungen treffen und müssen nicht immer an die Auswirkungen auf den Aktienkurs und an die Anleger denken. Deren erstes Interesse ist es oft, an der Börse das schnelle Geld zu verdienen.

Gerade Industrieunternehmen wie Ketten Wulf hätten damit ein Problem. Sie investieren überdurchschnittlich viel in die Forschung und die Entwicklung neuer Werkstoffe und Produkte. So sichern sie ihre Stärke im Wettbewerb, aber diese Investition zahlt sich oft erst langfristig aus. Günter Wulf: "Es sind zwischen zwei und drei Prozent des Umsatzes, die wir jährlich in Forschung und Entwicklung investieren. Wir sehen dadurch ein wirkliches Weiterkommen, weil der Markt das einfach verlangt."

Porsche

Und dann ist da noch Porsche, nach Meinung von Analysten der profitabelste Autobauer der Welt. Porsche ist zwar eine Aktiengesellschaft, deren Anteilsscheine an den Wertpapierbörsen gehandelt werden. Vorstandschef Wendelin Wiedeking geht allerdings keinem Streit mit der Deutschen Börse aus dem Weg, die den Frankfurter Handelsplatz betreibt. Unternehmen, die in Indizes wie dem DAX oder dem MDAX gelistet sein wollen, unterliegen strengen Auflagen. Sie müssen zum Beispiel jedes Vierteljahr in einem Quartalsbericht über den Geschäftsverlauf berichten. Das dient dem Anlegerschutz, sagt die Deutsche Börse. Es macht zusätzliche Arbeit, die zuviel Geld kostet, sagt Porsche-Chef Wiedeking. Und wenn die Quartalsberichte schlecht ausfallen, wirke das "tödlich" auf die Motivation der Mitarbeiter.

Wiedeking entschied sich, die Börsen-Auflagen nicht zu erfüllen. Prompt musste Porsche seinen Platz im MDAX räumen. Geschadet hat das weder dem Unternehmen noch dem Aktienkurs. Porsche strebt das siebte Rekordjahr in Folge an.