1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Eine wunderbare Geste"

17. Januar 2002

- Putin ehrt als erster Präsident Russlands Angehörige des polnischen Widerstandes

https://p.dw.com/p/1i9Z

Warschau, 17.1.2002, PAP, poln.

In völliger Stille und zur Überraschung aller hat Russlands Präsident Wladimir Putin am Denkmal des polnischen Untergrundstaates Blumen niedergelegt. Es ist der erste Kremlherr, der die Soldaten der polnischen Untergrundarmee ZWZ-AK, aber auch die Kämpfer von WiN und NIE ehrte, die sich, bereits nach dem Krieg, der Oberherrschaft der UdSSR über Polen widersetzten. Die Namen all dieser Verbände sind auf dem Denkmal eingraviert, das im Jahre 1999 errichtet wurde und das von Papst Johannes Paul II. eingeweiht wurde.

Vor Putins Besuch waren Informationen aufgetaucht, wonach der russische Staatschef möglicherweise vor einem Denkmal, das an die schwierige polnisch-russische Vergangenheit erinnert, Blumen niederlegen wird. Im Gespräch war das Denkmal zu Ehren des Warschauer Aufstands und das Denkmal für die Opfer der Menschen, die im Osten ermordet worden sind. Das endgültige Besuchsprotokoll sah jedoch lediglich eine Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten vor.

Präsident Kwasniewski hatte in einem Gespräch mit der GAZETA WYBORCZA vor dem Besuch Protokolländerungen zugunsten "historischer Gesten" nicht ausgeschlossen und erwähnt, Gespräche unter vier Augen "machen dies häufig möglich". Aber noch gestern Nachmittag, bereits nach dem Gespräch unter vier Augen, hatte es den Anschein, als werde nichts daraus. Wladimir Putin versicherte, Russland wolle "die Augen vor den negativen Seiten der Stalin-Herrschaft nicht verschließen". "Wir werden aber die Probleme im Zusammenhang mit Nazideutschland nicht mit dem gleichsetzen, was mit den Repressionen der Stalin-Herrschaft zu tun hat", sagte er.

Um 15 Uhr erklärte Russlands Außenminister Sergej Iwanow unumwunden: "Wir befassen uns nicht mit Gesten, sondern mit ernsthafter Politik." Als er dies sagte, war man am Denkmal des Untergrundstaates bereits emsig bei der Arbeit. Die Entscheidung des Präsidenten war eine Überraschung nicht nur für seine Mitarbeiter, sondern auch für die polnische Seite. Im letzten Augenblick machte sich eine kleine Mannschaft daran, den Zugangsweg zum Denkmal vom Eis zu befreien. Schließlich gelang es, einen schmalen Weg freizuschaufeln.

Als Präsident Putin sich dem Denkmal näherte, herrschte Totenstille. Es war lediglich ein Blitzlichtgewitter zu hören. Das Denkmal, gewöhnlich angestrahlt, war von Dunkelheit umhüllt. Putin legte einen Strauß von rosa Nelken nieder, die wahrscheinlich im Blumengeschäft im Sejm gekauft worden waren.

"Es ist eine wunderbare, eine überraschende Geste", sagte Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz.

Am Vormittag hatten sich Präsident Kwasniewski und Präsident Putin lange unter vier Augen unterhalten. Vor Journalisten erklärten sie einmütig, "die schwierige Etappe der Neunzigerjahre in unseren Beziehungen" liege hinter uns. (...) Das Gesprächsklima sei hervorragend, es gebe keine Tabus. Kwasniewski erklärte, "wir wollen auch unsere Zusammenarbeit im Gasbereich klären". Putin versuchte zu überzeugen, dass es für Polen das Beste sei, Gas in Russland zu kaufen. (...)

Sejmmarschall Marek Borowski sagte, Putin habe am Nachmittag bei einem Gespräch mit ihm (Borowski - MD) und Vertretern der parlamentarischen Clubs an die Geschichte beider Staaten angeknüpft. "Er stellte die Frage, warum die Konflikte in unseren Beziehungen den Polen bekannt seien, den Russen aber nicht. Ich antwortete, mit dieser Angelegenheit müssten sich Historiker befassen, damit sich die jungen Menschen nicht über die Fakten zu streiten brauchen."

Putin sagte auch den Abgeordneten: "Wir haben die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Polen zu niedrig eingeschätzt. Wir haben uns geirrt."

Als der russische Präsident das polnische Parlament betrat, herrschte große Stille. Als er es verließ, gab es zum Abschied Applaus. (TS)