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"Eine Tragödie unserer beiden Völker"

11. Juli 2003

- Nach dem Parlament in Kiew stimmt auch der polnische Sejm der gemeinsamen Erklärung zu dem Massaker in Wolhynien im Jahre 1943 zu

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Warschau, 10.7.2003, PAP, poln.

"Für Terror, Gewalt und Brutalität darf es keine Entschuldigung geben. Die Wahrheit über die damaligen dramatischen Jahre ist für alle schmerzhaft. Aber sowohl die Polen als auch die Ukrainer müssen diese Wahrheit kennen lernen. Die Wahrheit, selbst die schmerzlichste, ist unumgänglich für den Aufbau einer dauerhaften Verständigung", ist in der Erklärung anlässlich des 60. Jahrestages der Tragödie von Wolhynien zu lesen, die der Sejm am Donnerstag (10.7.) verabschiedet hat. Am selben Tag, zwei Stunden vorher, hatte auch das ukrainische Parlament, der Oberste Rat, eine Erklärung gleichen Wortlauts angenommen.

Präsident Aleksander Kwasniewski sagte, seine gemeinsame Teilnahme mit dem ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma an den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Tragödie von Wolhynien solle der Wahrheit dienen, solle eine Verneigung vor den Opfern und ein Schritt in Richtung auf Versöhnung sein. Der polnische und der ukrainische Präsident treffen sich am Freitag (11.7.) in Pawliwka (das ehemalige Poryck) in Wolhynien, um die Opfer des Wolhynien-Massakers im Jahre 1943 zu ehren und einen weiteren Schritt zur polnisch-ukrainischen Versöhnung zu tun.

"Der 60. Jahrestag der Tragödie der polnischen Bevölkerung in Wolhynien und in Galizien während der deutschen Besatzungszeit regt zum Nahdenken über die Vergangenheit und die Zukunft der polnisch-ukrainischen Nachbarschaft an. Die Tragödie der von bewaffneten ukrainischen Verbänden ermordeten und von ihrem Wohnort vertriebenen Polen wurde auch vom Leid der ukrainischen Bevölkerung begleitet, die zu Opfern polnischer bewaffneter Aktionen wurden. Es war eine Tragödie unserer beiden Völker", ist in der Erklärung unter anderem zu lesen. (...)

Es wird unterstrichen, dass die Wahrheit über jene dramatischen Jahre für alle schmerzhaft sei, alle Polen und Ukrainer müssten sie aber kennen lernen, denn "die Wahrheit, selbst die schmerzlichste, ist für den Aufbau einer dauerhaften Verständigung unumgänglich".

"So unvollkommen die Erklärung für viele auch sein mag - sie enthält ungewöhnlich wichtige Formulierungen. Erstens, die Feststellung, dass die Polen in der Ukraine von bewaffneten ukrainischen Verbänden ermordet und vertrieben wurden. Das hatte kein oder fast kein ukrainischer Politiker öffentlich ausgesprochen. Heute sprach es das ukrainische Parlament aus", erklärte Sejm-Marschall Marek Borowski nach der Abstimmung.

Der Wortlaut der Erklärung hatte sowohl im Sejm als auch im ukrainischen Parlament heftige Debatten ausgelöst und es hatte viele Änderungsvorschläge gegeben. Viele ukrainische Abgeordnete forderten, in der Erklärung müsse deutlicher herauskommen, dass im Jahre 1943 in Wolhynien nicht nur Polen litten und ums Leben kamen sondern auch Ukrainer.

Zahlreiche polnische Abgeordnete wiesen hingegen darauf hin, dass der Wortlaut deutlich machen sollte, dass es sich in Wolhynien um einen Völkermord gehandelt habe, dass an den dort lebenden Polen Völkermord begangen worden sei. Schließlich wurde die Erklärung sowohl im Sejm als auch im ukrainischen Parlament ohne Änderung angenommen. Nicht akzeptiert wurde der Vorschlag der Partei Recht und Gerechtigkeit, im ersten Satz der Erklärung das Wort "Tragödie" durch den Begriff "Völkermord" zu ersetzen.

Vor der Abstimmung fragte Marek Jurek (Partei Recht und Gerechtigkeit) Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz, wie er als Jurist, der sich mit internationalem Recht beschäftige, dazu stehe, dass in der Erklärung der Begriff "Völkermord" (...) fehle. Seit 1945 werde dieser Begriff schließlich für Geschehnisse wie die in Wolhynien verwendet. Cimoszewicz gab zur Antwort, er persönlich sei der Meinung, dass das, was in Wolhynien geschah, Merkmale von Völkermord hatte. Er sprach sich jedoch dafür aus, die Erklärung ohne irgendwelche Veränderungen anzunehmen, da sie zwei Ziele verfolge: erstens, die polnischen Opfer der damaligen Verbrechen im Gedächtnis zu behalten und zweitens, den Weg zur Versöhnung zwischen Polen und Ukrainern zu bahnen.

Die Kirchen Polens und der Ukraine wollen Verständigung und Versöhnung zwischen beiden Völkern, sagte der Sprecher der Polnischen Bischofskonferenz Jozef Kloch der Nachrichtenagentur PAP. "Die Polnische Bischofskonferenz und die griechisch-katholische Kirche haben das Interesse beider Seiten an einer weiteren Zusammenarbeit zwecks besserer Verständigung und Versöhnung zwischen dem polnischen und dem ukrainischen Volk vor dem Hintergrund des Aufbaus der europäischen Gemeinschaft im Geiste der christlichen Botschaft bekundet", heißt es in einer Mitteilung, die am Donnerstag nach Beendigung zweitägiger Beratungen in Lwiw herausgegeben wurde. Es wird darin betont, dies sei die Antwort auf den Brief von Johannes Paul II. an die Hierarchie beider Kirchen anlässlich des 60. Jahrestages der tragischen Ereignisse in Wolhynien. (Der Papst hatte darin die Polen und die Ukrainer zu einer inständigen Gewissensprüfung und zur Versöhnung aufgerufen - PAP). (TS)