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Tierschutzbeauftragte: Stimme für Hund, Katze und Schwein

12. Juni 2023

Mit der Tierärztin Ariane Kari hat Deutschland erstmals eine Beauftragte für Tierschutz auf Bundesebene. Ein großer Schritt Richtung Tierwohl?

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Schweine im Stall
Schweinemastbetrieb im Landkreis Teltow-FlämingBild: Marius Schwarz/IMAGO

Die Masthühner, die lahmen, weil sie zuchtbedingt zu schnell und übermäßig wachsen, können hoffen. Auch die Kühe, deren Euter so hochgezüchtet werden, dass ihr Knochengerüst das nicht lange durchhält.

Und selbst für die Krokodile, Schlangen und Warane, die in Deutschland immer noch in privater Hand gehalten werden können, gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass dieser Zustand bald ein Ende hat. Ariane Kari heißt die Frau, die die Lücken im 2002 beschlossenen Staatsziel Tierschutz endlich stopfen soll.

"In der Arbeit als Beauftragte der Bundesregierung für Tierschutz sehe ich eine große Chance, den Tierschutz voranzubringen", sagt die Tierärztin. "Nicht zuletzt werde ich mit Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit mehr Wissen über die Bedürfnisse von Tieren vermitteln - denn Wissen schützt Tiere."

Deutschlands Haustiere, aber vor allem die Nutztiere hierzulande, also die elf Millionen Rinder, 26 Millionen Schweine und 173 Millionen Geflügel landesweit, verfügen nun erstmals über eine Anwältin auf Bundesebene. Bislang hatten nur neun Bundesländer Tierschutzbeauftragte.

Seit 2017 war Kari stellvertretende Tierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg.  Ihre neue Stelle ist im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft angesiedelt. Minister Cem Özdemir lobt Kari als "ausgewiesene Expertin", will mit dieser Personalie aber nicht nur einen vereinbarten Punkt im Koalitionsvertrag abhaken. "Mit der Schaffung des Amtes auf Bundesebene werden wir den Tierschutz in Deutschland strukturell und institutionell weiter stärken. Das zeigt, wie wichtig der Bundesregierung das Thema Tierschutz ist. "

Auf Kari wartet "Mammutaufgabe"

Ariane Kari, die sich 2018 gegen eine Kampfhundeliste ausgesprochen und stattdessen die Einführung eines generellen Hundeführerscheins in Baden-Württemberg forciert hatte, wird nicht nur von ihrem künftigen Vorgesetzten Özdemir mit Vorschusslorbeeren überhäuft. Auch Deutschlands oberster Tierschützer Thomas Schröder hält Kari für eine gute Wahl, auf sie komme allerdings jetzt nichts weniger als eine "Mammutaufgabe" zu.

"Im Grundsatz ist es ein richtiger Schritt, die Bundestierschutzbeauftragte einzuführen", sagt der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes gegenüber der DW. "Ich habe allerdings bei der Konzeption noch meine Sorgen, ob die Wirkung wirklich ausreichend sein wird. Wenn die Bundesbeauftragte nur Minister Özdemir berät und nicht direkt auf die anderen Minister zugehen kann, dann bedeutet das natürlich nochmal weniger Autorität gegenüber diesen anderen Ministerien".

Mann mit Hund im Arm
"Kein einziges Gesetz in Deutschland wurde auf das Staatsziel Tierschutz abgeglichen" - Thomas Schröder Bild: Deutscher Tierschutzbund

Schröder nennt Beispiele: Wenn Tiere in doppelstöckige Transportfahrzeuge eingezwängt werden und mit ihrem Rücken dauernd an die Decke stoßen, betreffe dies das Verkehrsministerium. Wenn es um die Frage geht, welche Tierversuche heutzutage noch akzeptabel sind und welche nicht, liege die Antwort beim Forschungsministerium.

Tierschutz noch kein Querschnittsthema

Doch werden sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing oder auch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ausgerechnet von einer Bundesbeauftragten aus einem anderen Ministerium hereinreden lassen? Schröder hegt Zweifel: "Die anderen Ministerien haben erstmal gar keine Rolle bei dieser Aufgabe, und das halte ich für einen Fehler. Weil beim Staatsziel Tierschutz alle Ministerien Tierschutz-Fragen beachten müssen, nicht allein das Ministerium für Ernährung und Landwirtschutz."

Deutschland war am 1. August 2022 das erste Land in der Europäischen Union, das im Grundgesetz-Artikel 20a den Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung verankerte, mit dem Zusatz: "Der Staat schützt fortan die natürlichen Lebensgrundlagen 'und die Tiere‘". Lange Zeit sah man sich wegen dieses Meilensteins auch als inoffizieller Tierschutz-Europameister.

Und tatsächlich zeigen auch Entscheidungen wie die des Bundesverwaltungsgerichtes Leipzig 2019, dass man hierzulande den Tierschutz durchaus ernstnimmt: das wirtschaftliche Interesse von Brutbetrieben allein sei kein Grund für das massenhafte Töten männlicher Küken, das Verbot folgte.

Deutschland nicht mehr Tierschutz-Europameister

Doch viele Tierschutzorganisationen kritisieren, dass auch zwei Jahrzehnte nach der Gesetzesänderung zu viel über den Nutzen des Tieres und zu wenig über den Schutz gesprochen werde. Tierschutz werde immer noch in großem Maße missachtet, wie zum Beispiel in der industriellen Landwirtschaft. Thomas Schröder sieht Deutschland deswegen längst nicht mehr in der Vorreiterrolle.

Billiges Fleisch versus Tierwohl

"Wir sind im Tierschutz in der Liste der Länder nach unten abgerutscht, weil wir wissentlich seit Jahrzehnten Lücken im Tierschutzrecht haben, und keiner was tut. Ich glaube, dieses Vorbild, wir sind die Besten in Europa, kann man so nicht mehr stehen lassen". Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes fordert deshalb eine andere Ernährungspolitik, weg von Exportrekorden: "Aus Deutschland oder aus Europa wird die Welt ernährt, kann nicht mehr die Philosophie sein."

Kari bleibt nicht viel Zeit

Viel zu tun also für Ariane Kari - und wenig Zeit dafür. Der Job der Beauftragten der Bundesregierung für Tierschutz endet mit der Legislaturperiode. Übernimmt Ende 2025 eine neue Regierung in Deutschland, die weniger Wert auf den Tierschutz legt, könnte im schlechtesten Fall die bundesweite Tierschutzbeauftragte ein einmaliges Intermezzo gewesen sein. Knapp zweieinhalb Jahre also, in denen die Tierärztin laut Thomas Schröder trotz aller Widrigkeiten zumindest Folgendes erreicht haben sollte:

"Mein größter Wunsch wäre, dass sich jeder Minister für seine Entscheidung im Sinne des Tierschutzes rechtfertigen muss, ob nun Verkehr, Forschung oder Justiz. Bei jedem Gesetzesentwurf muss beantwortet werden: ist die Gleichstellungsfrage geklärt, ist die Nachhaltigkeitsfrage geklärt? Da muss jetzt zukünftig stehen: Sind hier relevante Tierschutzbereiche geklärt? Dass am Ende unter jedem Gesetz: 'Vereinbar mit dem Staatsziel Tierschutz' steht."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur