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Politik

Raif-Badawi-Preis für Flüchtlingsradio

Birgit Svensson
19. Oktober 2016

Vier Frauen machen mit ihren Radiosendungen Flüchtlingen im irakisch-kurdischen Grenzgebiet Mut. Dafür werden sie mit dem Raif-Badawi-Preis ausgezeichnet. Birgit Svensson hat sie in ihrem Studio in Halabja besucht.

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Irak Halabaja Dange NWE Flüchtlingsradio
Die Preisträgerinnen Shadan Habib, Heva Ahmed, Haneen Hassan, im Hintergrund Rangeen SalamBild: Birgit Svensson

Es ist nicht ganz einfach das Haus zu finden, hinter dessen Mauern sich die "Neue Stimme", wie Radio "Dange Nwe" auf Kurdisch heißt, verbirgt. Ein kleiner Vorgarten schirmt das Studio ab, in dem seit Januar Flüchtlinge für Flüchtlinge Radio machen. Täglich von acht bis zwölf Uhr sind Shadan Habib, Heva Ahmed, Haneen Hassan und Rangeen Salam auf Sendung. Auf FM 88,6 senden sie in die Provinzen Halabja, Suleimanija und Kirkuk, bis in den Iran. Im Internet hört man die vier Frauen vom Flüchtlingsradio bis nach Syrien und sogar in die irakische Provinz Anbar, wo Haneen herkommt und vor dem IS geflohen ist. "Viele rufen uns von dort an", erzählt Rangeen Salam, die Direktorin des Programms. "Sie berichten über die Situation und fragen nach ihren Angehörigen, die geflohen sind und jetzt in Kurdistan leben".

Irak Geschichte Friedhof Halabja Massaker in 1988
Eine Frau trauert um die kurdischen Toten von Halabja Bild: Safin Hamed/AFP/Getty Images

3000 Flüchtlinge hätte Halabja aufgenommen. Die meisten von ihnen lebten in Häusern und nicht in Zeltlagern. "Die Leute hier verstehen uns", sagen Heva Ahmed aus Syrien und Haneen Hassan aus Falludscha übereinstimmend. "Viele waren selber Flüchtlinge." Als Saddam Hussein Ende der 1980er Jahre Giftgasangriffe gegen seine kurdischen Landsleute fliegen ließ, traf es die Kleinstadt nahe der iranischen Grenze am härtesten. An einem Tag kamen bis zu 5000 Menschen ums Leben, viele flüchteten in die nahen Berge in den Iran und blieben jahrelang dort. Erst als die UN 1991 eine Flugverbotszone zum Schutz der Kurden vor dem Herrscher in Bagdad einrichtete, kamen die meisten zurück. Heute leben in Halabja etwa 80.000 Einwohner.

Erinnerung an verurteilten Blogger Badawi

Nachdem der erste Raif-Bawadi-Preis für mutige Journalisten 2015 an den Marokkaner Ali Anouzla verliehen wurde, vergibt die Friedrich-Naumann-Stiftung die Auszeichnung in diesem Jahr an die Radiojournalistinnen aus Halabja. Damit soll an das Schicksal des saudischen Bloggers erinnert werden, der wegen seiner islamkritischen Texte zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Allerdings kann nur Programmdirektorin Rangeen Salam nach Frankfurt zur Buchmesse reisen, um die Auszeichnung am 19. Oktober persönlich entgegenzunehmen.

Raif Badawi Award Logo
Raif Badawi sitzt in saudischer Haft. Der gleichnamige Preis soll an ihn erinnern.

Zwei der Väter erlauben die Reise ihrer Töchter ins Ausland nicht und eine bekommt keinen Pass. Besonders die Syrerin Heva Ahmed ist traurig darüber, denn sie hatte bis zum Schluss gehofft, dass sie noch ein Reisedokument bekommen könnte, um nach Frankfurt zu fliegen. Doch als sie vor zwei Jahren aus Kobane in die Kurdengebiete im Irak flüchtete, musste sie alles hinter sich lassen. Ohne Papiere kam sie schließlich nach Halabja. Vor der Vergabe des Preises wussten die "Neuen Stimmen" von Radio "Dange Nwe" nur wenig von Raif Badawi. Jetzt aber ist er zum Symbol für den Kampf auch um ihre Freiheit und Selbstbestimmung geworden.

Aufruf für Redefreiheit und Selbstbestimmung

In einem Aufruf des Redaktionsteams heißt es: "Wir sind Flüchtlinge, nicht zuletzt deswegen, weil es in Syrien, in Saudi-Arabien und anderen Ländern des Mittleren Ostens keine Redefreiheit gibt. Wir wollen Redefreiheit, wir wollen die Selbstbestimmung über unser Leben, wir wollen Bürger mit gleichen Rechten sein, und nicht nur Marionetten in einer Diktatur." Wenn die 27-jährige Heva den Kopfhörer im Studio aufsetzt und die Morgensendung moderiert, spricht sie Kurmandschi, eine der drei kurdischen Sprachen, die Kurden in Syrien, in der Türkei und der irakisch-kurdischen Provinz Dohuk sprechen.

Irak Halabaja
Gedenkstätte für die Giftgasopfer von HalbjaBild: Birgit Svensson

In Erbil, Suleimanija, Halabja und im kurdischen Teil Irans hingegen wird Sorani gesprochen. Dafür ist Shadan zuständig. Und wie um das babylonische Sprachengewirr beim Flüchtlingsradio perfekt zu machen, moderiert die 22-jährige Haneen zwischen elf und zwölf Uhr auf Arabisch. "Wir greifen alles auf, was die Flüchtlinge bewegt", sagt Heva zum Sendeprofil. "Vor allem natürlich Nachrichten aus der Region, wo sie herkommen". Es gäbe Reportagen über den Alltag, über Geschäfte, die von Flüchtlingen aufgemacht und betrieben würden, die medizinische Versorgung, Gesundheitstipps, einfach alles - ohne Tabus.

Keine Scheu vor brisanten Themen

Von Konflikten zwischen Männern und Frauen bis hin zu Ehrenmorden werden thematisiert und mit den Hörern diskutiert. "Frauen haben deutlich mehr Probleme als Männer, wenn sie flüchten", resümiert Shadan ihre Besuche bei Familien und die Telefonanrufe von Hörern, die ein wichtiger Bestandteil der Sendungen geworden sind. "Es wird nicht öffentlich darüber gesprochen", ergänzt Haneen aus Falludscha, "aber der Druck auf die Familien nimmt zu, Scheidungen mehren sich". Das Flüchtlingsradio sei für viele zum festen Bestandteil des Alltags geworden, weiß auch Programmdirektorin Rangeen. "Es vermittelt den Flüchtlingen das Gefühl, wir sind wichtig, wir werden verstanden."

Für den Winter planen die Vier vom Flüchtlingsradio eine gemeinsame Aktion mit den anderen Journalistinnen, die im Rahmen des Frauenradios die Sendezeit nach zwölf Uhr bestreiten. Dieses wurde vor mehr als zehn Jahren von der deutsch-irakischen Hilfsorganisation Wadi gegründet und ist ein fester Bestandteil des Frauenzentrums in Halabja. Als erste Begegnungsstätte für Frauen in Irak-Kurdistan bot Wadi den Kurdinnen Computerkurse und Nähkurse an. Sie lernten Haare schneiden, Stopfen, Sticken und Stricken. "Die Frauen wünschten sich damals aber auch ein eigenes Medium, am liebsten eine Zeitung", sagt Thomas von der Osten-Sacken, der Gründer von Wadi.

Winteraktion im Flüchtlingsradio

Seine Organisation ist seit 25 Jahren in Kurdistan tätig. Eine Zeitung allerdings sei zu teuer, Radio dagegen einfacher und kostengünstiger. Außerdem, so Osten-Sacken, habe das Radio den Vorteil, dass es interaktiv sei und auch Analphabeten erreiche. Gerade unter Frauen ist die Analphabetenrate in Kurdistan weiterhin hoch. Gemeinsam wollen die Journalistinnen von Radio" Dange Nwe" nun Kleidung für die kalte Jahreszeit, Decken und Wärmeöfen sammeln, damit die Flüchtlinge einigermaßen über den Winter kommen. "Sie brauchen alles", weiß die Syrerin Heva und appelliert an alle, den Flüchtlingen in Halabja zu helfen.