Eine neue multipolare Medienwelt - Konsequenzen für die Medienentwicklung | Regionen | DW | 14.11.2013
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Regionen

Eine neue multipolare Medienwelt - Konsequenzen für die Medienentwicklung

Die neue Rolle der BRICS-Staaten war Thema des Jahrestreffens des Forums Medien und Entwicklung. Patrick Leusch, Leiter Internationale Kooperationen der DW Akademie, zeigt auf, was dies für die Medienförderung bedeutet.

Patrick Leusch, Leiter Internationale Kooperationen der DW Akademie, und Jillo Kadida, Journalistin bei der Zeitung The Star in Nairobi, bei einer Podiumsdiskussion des Symposiums Forum für Medien und Entwicklung (Foto: Anita Back).

Jillo Kadida, Journalistin bei "The Star", und Patrick Leusch, Leiter Internationale Kooperationen der DW Akademie

Im Februar 1973 startete der erste Flug von Ethiopian Airways in Addis Ababa - vor mehr als 40 Jahren. Bereits damals lautete der Zielflughafen Shanghai. Derzeit wird viel über die wirtschaftlichen Interessen Chinas in Afrika diskutiert. Als Teil einer "Public Diplomacy"-Strategie gehört dazu auch der wachsende Einfluss Chinas in der Nachrichtenberichterstattung und der Medienlandschaft Afrikas. Welche "weichen" Machtinstrumente (soft power) nutzen China und weitere Staaten, die in Afrika investieren? Welche Strategien stehen dahinter? Und was bedeutet dies für den afrikanischen Medienmarkt und damit letztlich auch für die Strategien der westlichen Medienentwicklungszusammenarbeit?

"Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass wir hier nicht nur von 'weichen', sondern auch von 'harten' Machtinstrumenten (hard power) sprechen", sagt Daya Thussu, Professor an der Universität von Westminster in London. Voraussichtlich bereits 2016 werde China die USA beim Bruttoinlandsprodukt überholen. Auch weitere Indikatoren machen deutlich, dass sowohl China als auch Indien in Zukunft eine Schlüsselrolle in der Weltwirtschaft zukommt. Dieser neuen Rolle sind sich diese Staaten durchaus bewusst und bauen daher gezielt auf eine globale Kommunikationsstrategie, um die wachsende Bedeutung mit einer eigenen medialen Stimme zu begleiten.

So hat beispielsweise Russland den internationalen Fernsehsender Russia Today gegründet. Um sein globales Image zu stärken, sendet Russia Today sowohl qualitativ hochwertige Weltnachtrichten als auch russische Themenschwerpunkte. Eine ähnliche Strategie verfolgt China - jedoch in einem viel größeren Maßstab.

Das "neue" China

"China möchte nicht mehr länger verteufelt werden", sagt Anbin Shi. Daher investiere auch China mit einer globalen Kommunikationsstrategie in sein Image. Shi ist Professor für Medien und Kulturwissenschaft an der School of Journalism and Communication der Tsinghua-Universität in Peking. Zudem arbeitet er als Berater für die Informationsstelle des chinesischen Staatsrates. Es gäbe eine Art "Charme-Offensive", die "liberale und konservative Intellektuelle im Westen und globale 'Netizens' erreichen soll." Dabei gehe es vor allem darum, den Unterschied zwischen dem "alten" und "neuen" China aufzuzeigen.

Auf dem Bild: Anbin Shi, Professor für Medien und Kulturwissenschaft an der School of Journalism and Communication der Tsinghua Universität, auf dem Symposiums Forum für Medien und Entwicklung (Foto: Anita Back).

Anbin Shi, Professor für Medien und Kulturwissenschaft an der School of Journalism and Communication der Tsinghua-Universität in Peking

Das "neue" China sehe seine zukünftige Rolle als globale Macht und Partner. Es möchte als "normal" wahrgenommen werden, so Shi. Und man wolle die eigene Stimme hörbar machen. Daher hat China nationale in internationale Medienunternehmen umgeformt und ausgebaut: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und der Fernsehsender CCTV sind weltweit aktiv. Hier werden nicht nur Nachrichten produziert, sondern auch Nutzer von Sozialen Medien angesprochen. Das hat einen guten Grund: Mit einer halben Milliarde Nutzern hat China mit Abstand die größte Internet-Community, wobei derzeit nur die Hälfte der Bevölkerung einen Internetzugang hat. In den USA ist die Internet-Community halb so groß bei einem Internetzugang von fast 100 Prozent. Indien hat übrigens die zweitgrößte Internet-Community weltweit.

In Afrika ist die neue Strategie Chinas am deutlichsten zu spüren: 26 Büros betreibt die Nachrichtenagentur Xinhua auf dem Kontinent. CCTV International sendet seit vergangenem Jahr täglich eine Stunde aus Nairobi. Gleichzeitig investiert China in afrikanische Medienmärkte, insbesondere in Südafrika. Akteure in Südafrika und China sähen sich als natürliche Verbündete beim Aufstieg der Schwellenländer, sagt Professor Herman Wasserman von der Rhodes Universität in Grahamstown. Eine Aktienbeteiligung einer chinesischen Firma hat einen südafrikanischen Medienunternehmer sogar schon zum Millionär gemacht, so Wasserman.

Die Süd-Süd-Investitionen im Mediensektor werden zukünftig steigen und unterstreichen damit einen globalen Trend: Der Anteil von Süd-Süd-Investitionen am Welthandel hat sich von 1980 bis 2012 verdreifacht, während die Nord-Nord-Investitionen rückläufig sind. Die generelle Einstellung scheint "ein vorsichtig optimistischer Blick mit einer zunehmenden Nuancierung" zu sein, so eine Studie der Rhodes Universität. Medien werden nichtsdestotrotz ein Kampfplatz um Meinungen und Wahrnehmungen bleiben, so Professor Herman Wasserman.

"Ich informiere mich gelegentlich sowohl auf Xinhua als auf CCTV, um ein Gefühl für die offizielle chinesische Sicht auf zentrale Themen zu kriegen. Und um mehr darüber zu erfahren, welche Interessen China verfolgt", wird ein afrikanischer Medienrepräsentant in der Studie der Rhodes Universität zitiert. Ein weiterer führt an: "Meine Sicht auf China hat sich geändert - von Argwohn zu einem neuen Blick auf China als einen pragmatischen Akteur, der nun anders agiert und sein Wirtschaftswachstum vorantreibt. Ich glaube nicht, dass China Afrika kolonisieren möchte. China braucht Afrika. China ist keine gütige Macht, die ins Land kommt. Das Land verfolgt ein Eigeninteresse. Südafrika sollte dies nachmachen."

Neue Akteure in der Medienentwicklung

"Meine Kollegen haben sehr gute Erfahrungen mit Journalismus-Trainings in Beijing gemacht", sagt Jillo Kadida, eine preisgekrönte Journalistin bei der Zeitung "The Star" in Nairobi. Das hören westliche Medienentwicklungs-Organisationen sicherlich nicht gern, die Trainings nach westlichen ethischen Journalistenstandards ausrichten. Natürlich wurden in der Vergangenheit bereits tausende von afrikanischen Journalisten sowohl von kapitalistischen als auch von kommunistischen Bruder-Staaten trainiert. Und heute? "Die chinesischen Medien bieten den afrikanischen Kollegen anschließend Jobs an, während die westlichen Medien immer nur mit ihren eigenen Leuten kommen und über Afrika hauptsächlich als einen Kontinent von Krieg und Katastrophen berichten", sagt Kadida. Die Wahrnehmung afrikanischer Medienmacher verändert sich offenbar im selben Maße wie alternative Beziehungen und Optionen der Zusammenarbeit möglich werden.

Jillo Kadida, Journalistin bei der Zeitung The Star in Nairobi, auf dem Symposiums Forum für Medien und Entwicklung (Foto: Anita Back).

Jillo Kadida, Journalistin bei "The Star" in Nairobi

Innerhalb der BRICS-Staaten fokussieren sich vor allem China und Russland auf die Nachrichtenberichterstattung, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und ihre globalen Interessen durch eine "soft power"-Strategie zu unterstützen. Das führe zu einer "Diversität der Kulturen in einer Ära der Multimedialität; die Kommunikation ist vielstimmiger geworden - eine de-Amerikanisierung von 'soft power'", sagt Professor Daya Thussu.

Auch das indische Außenministerium rief kürzlich eine Abteilung ins Leben, die neue "soft power"-Strategien entwickeln soll. Der indische Schwerpunkt liegt bisher allerdings nicht im Nachrichtensektor, sondern in der stetig wachsenden Filmindustrie. Bollywood-Produktionen vermitteln ein positives Bild von Indien - insbesondere in der arabischen Welt, so Naila Hamdy, Dozentin für Journalismus und Massenkommunikation an der American University in Kairo.

Zunächst waren es indische und pakistanische Gastarbeiter, die die medialen Adressaten der Helden-Sagen waren. Inzwischen sind die Bollywood-Produktionen in der arabischen Gesellschaft angekommen. Mittlerweile werden nicht nur Bollywood-Filme exportiert, sondern direkt vor Ort gedreht. So werden nun Bollywood-Filme mit bekannten arabischen Schauspielern und in einem arabischen Setting produziert. "Hindustani" nennt Naila Hamadi dieses interessante Produkt einer Hybrid-Kultur.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im brasilianischen Mediensektor ausmachen. Brasilien ist innerhalb der BRICS-Staaten dasjenige Land mit dem am weitesten kommerzialisierten Mediensektor und dem größten Grad an Meinungsfreiheit. Dennoch ist der Medienmarkt dort seit mehr als 50 Jahren fest in der Hand von einigen wenigen Großfamilien. Als Monopolist in der portugiesisch sprechenden Welt wurden die brasilianischen Telenovelas in den 1980ern erfolgreich nach Angola und Mosambik exportiert. Seitdem haben vor allem die Charaktere der erfolgreichen Telenovelas den Lifestyle beeinflusst. So werden beispielsweise Kinder häufig nach ihnen benannt. Globo TV verkaufte seine erfolgreichste Telenovela “Brazil Avenue” in über 100 Länder. Mittlerweile hat sich das Geschäftsmodell hin zu verstärkten Ko-Produktionen geändert. Brasilien ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Wahrnehmung eines Landes durch Medien beeinflusst werden kann: Sonne, Strand, Samba, Fußball und Mode. "Brasilien hat es geschafft, ein recht positives Bild von sich in den Nachbarländern und in den USA zu kreieren", sagt John Straubhaar, Professor für Kommunikation an der Universität von Texas in Austin.

Alternative Meinungen akzeptieren

"Erzähle deine Geschichte auf deine Art und Weise" - diese Strategie wird von vielen aufstrebenden Ländern sowohl in der Nachrichtenberichterstattung als auch im fiktionalen Bereich verfolgt. Die BRICS-Staaten unternehmen offensichtlich große Anstrengungen, um sich der Dominanz der westlichen globalen Medien entgegenzustellen. Dieser Prozess wird in den nächsten Jahren noch zunehmen und weitere Akteure werden hinzukommen. So hat beispielsweise Al Jazerra kürzlich eine US Edition seines TV Senders gegründet, die in New York von US-amerikanischen Journalisten produziert wird.

Daya Thussu, Professor an der Universität von Westminster in London auf dem Symposiums Forum für Medien und Entwicklung (Foto: Anita Back).

Dana Thussu, Professor an der Universität von Westminster in London

Alternative Meinungen werden zukünftig den Mediennutzern in der ganzen Welt in einem viel größeren Umfang zugänglich sein als bisher. Das beinhaltet nicht nur Medienmodelle sondern vor allem auch die Vermittlung von Werten, Gesellschaftsmodellen und politischen Konzepten. Diese Modelle werden möglicherweise nicht in vollem Umfang den Freiheits-, Demokratie- und Menschenrechtsstandards der westlichen Welt entsprechen, aber ausreichend fair und akzeptable erscheinen, um eine reale Alternative zu bieten. Zukünftig wird es notwendig werden, sich auf alternative Meinungen einzulassen.

Die Ansätze der Medienentwicklungszusammenarbeit müssen daher überdacht werden. Dazu gehört vor allem die Akzeptanz, dass Partner in Zukunft aus einer größeren Bandbreite von Angeboten auswählen können. Und auch wenn nicht alle Angebote in vollem Umfang auf Augenhöhe erfolgen, so bieten sie doch oft die Chance auf eine "win-win"-Situation. Zumindest erwarten dies viele Partner in den Zielländern. Medienentwicklungszusammenarbeit wird sich also zukünftig einem kritischeren Blick auf seine Rollenmodelle und die vorgeschlagenen Kooperationsbeziehungen einrichten müssen.

Beim Landeanflug zeigt Ethiopian Airlines derzeit übrigens ein Werbevideo, in dem die neu aufgenommenen Flugziele der Airline aufgezählt werden: Singapur, Seoul, Manila, Sao Paulo und Shanghai.

  • Datum 14.11.2013
  • Autorin/Autor Patrick Leusch
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