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Tschechien, die bewaffnete Republik

16. Januar 2024

Nach dem Amoklauf von Prag mit 17 Toten werden in Tschechien die Gesetze zum Waffenbesitz debattiert. Doch das Recht auf Schusswaffen zur persönlichen Sicherheit ist in der Verfassung verankert.

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Trauernde legen nach dem Amoklauf von Prag bei regnerischem Wetter Blumen und Kerzen vor der Karls-Universität ab
Nach dem Amoklauf von Prag am 21. Dezember 2023 mit insgesamt 17 Todesopfern versammeln sich Trauernde an der Karls-UniversitätBild: Michal Cizek/AFP/Getty Images

In der Tschechischen Republik sind eine Million legale Schusswaffen im Umlauf. Damit ist das kleine Land mit seinen zehn Millionen Einwohnern eines der Länder mit der höchsten Anzahl an privaten Waffen im postkommunistischen Europa.

Nur Kroatien, wo in den 1990er Jahren einer der blutigsten postjugoslawischen Kriege stattfand, liegt beim Waffenbesitz noch vor der Tschechischen Republik.

Mehr als dreihunderttausend Menschen in Tschechien haben einen Waffenschein. Nur wenige von ihnen sind Jäger. Die allermeisten besitzen eine Waffe zu ihrem persönlichen Schutz. Die Zahl der Zivilisten, die Waffen besitzen, ist fast sechsmal höher als die Zahl der tschechischen Soldaten und Polizisten.

Bislang hat dies keine große Aufmerksamkeit erregt, und die Stimmen der Gegner solcher Massenbewaffnung wurden mit dem Argument zum Schweigen gebracht, dass Tschechien in Bezug auf Gewaltverbrechen eines der zehn sichersten Länder der Welt ist.

Amoklauf mit siebzehn Toten

Kurz vor Weihnachten 2023 wurde Tschechien jedoch von einem Massenmord erschüttert, der in der modernen Geschichte des Landes beispiellos ist und zu den schlimmsten in Europa in den vergangenen Jahren gehört. Schauplatz war die Philosophische Fakultät der altehrwürdigen Karls-Universität in der Hauptstadt Prag, der ältesten Universität des Landes und eine der ältesten der Welt.

Am 21.12.2023 erschoss ein Student im Universitätsgebäude 14 Menschen und verletzte 25 weitere schwer. Die Bilder verängstigter Studenten, die sich auf dem Dach der Fakultät in Sicherheit brachten, gingen um die Welt.

Wie die Polizei später ermittelte, hatte der Täter einige Tage zuvor schon zwei Menschen ermordet und kurz vor dem Amoklauf seinen Vater erschossen. Als die Polizei ihn fasste, beging er Selbstmord.

Der Leiter der Prager Polizei, Petr Matejcek, sitzt bei einer Pressekonferenz hinter einer Reihe von Mikrofonen von tschechischen und internationalen Medien und beantwortet Fragen nach dem Amoklauf an der Karls-Universität am 21.12.2023
Der Leiter der Prager Polizei, Petr Matejcek, bei einer Pressekonferenz am 22.12.2023, einen Tag nach dem Amoklauf des StudentenBild: Radek Mica/AFP/Getty Images

Bei der Untersuchung des Angriffs stellte die Polizei fest, dass der Täter, obwohl er in der Vergangenheit wegen psychischer Probleme behandelt worden war, legal acht Schusswaffen besessen hatte. Darunter befanden sich ein US-amerikanisches automatisches Gewehr AR-15 und ein tschechisches Militär-Maschinengewehr vom Modell 61 Skorpion. Für den Kauf der Waffen hatte der Täter bei einer Bank einen Kredit in Höhe von umgerechnet rund 40.000 Euro aufgenommen.

Das Recht auf Waffenbesitz und ihren Gebrauch in der Verfassung

Waffen sind in der Tschechischen Republik leicht erhältlich. Das Land ist traditionell einer der größten europäischen Hersteller und Exporteure von Kleinwaffen in die ganze Welt. Im Jahr 2022 exportierte Tschechien Waffen im Wert von insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro.

Der ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babis
Der ehemalige tschechische Ministerpräsident Andrej Babis setzte sich dafür ein, das Recht auf Waffenbesitz in der tschechischen Verfassung zu verankernBild: Lukas Kabon/AA/picture alliance

Im Jahr 2021 wurde unter der Regierung von Ministerpräsident Andrej Babis von der ANO-Bewegung dank der Unterstützung der damaligen Oppositionspartei ODS das Recht auf Waffenbesitz und -gebrauch in der tschechischen Verfassung verankert.

Darin heißt es: "Das Recht, das eigene Leben oder das eines anderen Menschen auch mit einer Waffe zu verteidigen, wird unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen garantiert." 100.000 Bürger hatten mit ihrer Unterschrift unter einer Petition die Verfassungsänderung befürwortet.

Sie war eine Reaktion auf die Bemühungen der Europäischen Union, den Besitz bestimmter Offensiv-Waffen einzuschränken. Damals protestierten einige Abgeordnete gegen die Verankerung des Rechts auf Waffenbesitz in der Verfassung. Sie blieben jedoch in der Minderheit. 

Die Regierung will keine weiteren Einschränkungen

Nach dem Schock des Massakers kurz vor Weihnachten schien es, als ob die Stimmung umschlagen würde. "Schluss mit der tschechischen Mode der leicht zugänglichen Waffenscheine", schrieb zum Beispiel Jan Kubita, Kommentator der Tageszeitung Hospodarske Noviny.

Er forderte eine deutlich strengere Regulierung. "Die Tschechische Republik ist in dieser Hinsicht immer noch eines der tolerantesten Länder in der EU. Das muss aufhören."

Ministerpräsident Petr Fiala (links), Staatspräsident Petr Pavel (Mitte) und Innenminister Vit Rakusan (rechts) stehen nach dem Amoklauf von Prag an Rednerpulten und sprechen zu den Medien
Demonstrative Einheit nach dem Amoklauf: Ministerpräsident Petr Fiala (l), Staatspräsident Petr Pavel (M) und Innenminister Vit Rakusan (r) sprechen zu den Medien Bild: Michaela Rihova/CTK/picture alliance

Doch die Regierung unter Ministerpräsident Petr Fiala konnte sich bislang nicht zu einer Verschärfung der Waffengesetze durchringen. Widerstand kommt vor allem aus Fialas eigener Partei ODS. Verteidigungsministerin Jana Cernochova ist eine der lautstärksten Befürworterinnen des Rechts auf Waffenbesitz und -gebrauch.

"Ich bin im legalen Besitz mehrerer Waffen und mache kein Geheimnis daraus, dass zu meinen Hobbys Tauchen, Geschichte und Sportschießen gehören", schrieb die Verteidigungsministerin im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter). Leider könne man "geistig gestörte Verrückte unter den Schützen, Autofahrern oder Flugzeugpiloten nicht verhindern", so die Ministerin.

Händler sollen verdächtige Einkäufe melden

Doch die Regierung ist in dieser Frage gespalten. So fordert der stellvertretende Ministerpräsident Ivan Bartos, Vorsitzender der Piratenpartei, eine Debatte über "systemische Maßnahmen zur Verhinderung von solchen Gewalttaten und jeglichen Manifestationen von Gewalt und Hass".

Der DW sagte er, seine Partei plädiere für eine Debatte über die Häufigkeit und Form von Eignungsprüfungen für Waffenbesitz und über die Begrenzung des Besitzes von Waffen mit großen Magazinen und Langwaffen mit Repetierläufen. "Nach den Erfahrungen aus dem Ausland müssen wir das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit regulieren, die Anzahl der lizenzierten Waffen pro Inhaber begrenzen oder das System mit dem Register für Ordnungswidrigkeiten und Schuldner verknüpfen", so Bartos.

Polizeipräsident Martin Vondrasek (links) und Innenminister Vit Rakusan (rechts), umgeben von Sicherheitskräften, sprechen am Abend des 21.12.2023 zu Journalisten
Polizeipräsident Martin Vondrasek (l) und Innenminister Vit Rakusan (r) sprechen am Abend des Amklaufs am 21.12.2023 zu den MedienBild: Anadolu/picture alliance

Auch Innenminister Vit Rakusan von der Partei Stan fordert eine Diskussion über den Waffenbesitz in Tschechien. "Dieses tragische Ereignis hat viele berechtigte Fragen in die gesellschaftliche Debatte eingebracht und das Gefühl der Sicherheit erschüttert", sagte er am 12.01.2024 vor Journalisten.

"Wir versuchen, ein Gleichgewicht zu finden und nicht hysterisch in die Debatte einzusteigen. Wir wollen nicht, dass dies auf Kosten der verantwortungsbewussten Waffenbesitzer geht."

Rakusan schlug vor, Waffenhändler dazu zu verpflichten, verdächtige Käufe von Waffen und Munition bei der Polizei zu melden und die psychologische Untersuchung von Waffenscheininhabern zu verschärfen. "Der Druck der großen Mehrheit der Bevölkerung, die keine Waffen besitzt, ist legitim", fügte der Innenminister hinzu.

Die Opposition, angeführt von der ANO-Bewegung des ehemaligen Premierministers Babis, lehnt jedoch eine Verschärfung der Waffengesetze ab. Daher ist es fraglich, ob es gelingen kann, den Waffenbesitz in der Tschechischen Republik in der nahen Zukunft einzuschränken.

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag