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"Eine gute Zeit zum Schreiben"

Martin Schrader12. Juni 2002

Was soll es bedeuten, wenn heute wie gestern Autoren aus dem 16. und 18. Jahrhundert die deutschen Bühnen regieren? Fehlt es seitdem an Dramatikern, die das Publikum in ihren Bann ziehen können?

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Immer noch beliebt: GoetheBild: DW

Die jüngste Bühnen- und Besucherstatistik des Deutschen Bühnenvereins brachte es an den Tag: Johann Wolfgang von Goethe und William Shakespeare beherrschen die deutschsprachigen Theater. Ihre Stücke standen in der Spielzeit 2000/2001 ganz oben auf der Rangliste der meistgespielten Werke. Goethes "Faust" war das am häufigsten gespielte Theaterstück: Mit 30 Inszenierungen, 379 Aufführungen und rund 123.000 Zuschauern.

William Shakespeare
William Shakespeare

Auch das Liebesdrama "Romeo und Julia" von Shakespeare liegt hoch in der Gunst des Publikums. Die Ende des 16. Jahrhunderts entstandene romantische Tragödie wollten 180.000 Zuschauer sehen. Auf Platz zwei landete mit "Hamlet" gleichfalls ein Stück des 1564 in Stratford-upon-Avon geborenen Engländers. Rund 130.000 Zuschauer in Österreich, der Schweiz und Deutschland sahen sich dieses Stück an. Weitere Renner an den Theaterkassen waren Heinrich von Kleists "Der zerbrochene Krug" (1811) und Gotthold Ephraim Lessings "Nathan der Weise" (1797).

Fehlende Neugier

Experten wie der Hildesheimer Theaterwissenschaftler Hajo Kurzenberger sagen, man könne daran die "Traditionsverranntheit eines großen Teils des Publikums" erkennen. "Vielen Zuschauern fehlt wohl die Neugierde auf Neues. Stattdessen kultiviert man die Sehnsucht nach klassischen Themen und Stücken", so Kurzenberger zu DW-WORLD.

Ein Mangel an neuen Theaterstücken kann daran kaum Schuld sein. Mit 245 Uraufführungen gab es in der vergangenen Saison ein großes Angebot an Schauspielen aus der Feder zeitgenössischer Schriftsteller. Dies zeige, meint der Direktor des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin, wie kreativ in den Theatern mit den heutigen Autoren gearbeitet werde.

Gespaltener Geschmack

Diese Einschätzung vertritt auch Kurzenberger. Er weist aber darauf hin, dass der Dialog zwischen den Kreativen und dem Publikum problematisch geworden sei. Dies liege auch daran, so der Schauspielexperte, dass viele Theatermacher gewagte Experimente auf die Bühne brächten, die nur eine Minderheit ansprechen. Beispiele dafür seien Reneé Polleschs "Berater-Trilogie" und die intermedialen Arbeiten von Stefan Pucher. Zudem gebe es immer weniger Homogenität im Publikumsgeschmack. Dieser habe sich in viele ästhetische Milieus gespalten, die alle befriedigt werden müssten. Darum können neue Werke schwer an die Zuschauerzahlen eines "Faust" oder "Romeo und Julia" heranreichen.

John von Düffel, Schriftsteller und Dramaturg am Hamburger Thalia-Theater, sieht in dieser Aufspaltung ein gesundes Nebeneinander von Klassikern und zeitgenössischen Stücken. Solange es einen so großen Hunger bei den Zuschauern nach neuen Geschichten gebe, wie in den vergangenen Jahren, könnten moderne Autoren gut mit den Zuschauer-Erfolgen Goethes und Shakespeares leben, meinte Düffel im Gespräch mit DW-World. Sein Fazit: "Es ist eine gute Zeit zum Schreiben."