1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Unglück kommt selten allein

8. Januar 2004

In "Broken Wings" erzählt Regisseur Nir Bergman die Geschichte einer israelischen Familie, die nach dem Tod des Vaters mit dem Alltag nicht mehr fertig wird. Ein bewegender Film über die Zerbrechlichkeit des Glücks.

https://p.dw.com/p/4X1D
Allegorie auf die gebrochenen Flügel IsraelsBild: Alamode Filmverleih

Die 17-jährige Maya hat über den plötzlichen Verlust ihres Vaters ein Lied geschrieben. Ausgerechnet mit der musikalischen Aufarbeitung dieses tragischen Ereignisses scheint sie einen Hit zu landen. Doch beim Musik-Wettbewerb für junge Bands in Haifa wird das Mädchen, das sich für den Auftritt schwarze Flügel anheftet, von der Realität eingeholt. Die Mutter will, dass ihre älteste Tochter sofort nach Hause kommt und sich um die jüngeren Geschwister kümmert. Maya ist unfreiwillig zur Ersatzmutter geworden – ihre Flügel sind zum Fliegen nicht geschaffen.

Schleichende Entfremdung

Filmszene Broken Wings Film Israel
Filmszene aus "Broken Wings"Bild: Alamode Filmverleih

Seit dem Tod des Vaters versuchen die Ulmans vergeblich zur Normalität zurückzufinden. Jedes der fünf Familienmitglieder hat Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen. Mutter Ulman (Orly Silbersatz Banai) ist von ihrer Arbeit als Hebamme und dem Haushalt völlig erschöpft. Der älteste Sohn Yair schwänzt die Schule, versucht die Realität mit exzentrischen Phrasen von sich zu halten, und verteilt in der U-Bahn - als Maus verkleidet - Flugblätter. Der zehnjährige Ido ist Bettnässer und verbringt seine Zeit damit, von einem Turm ins leere Schwimmbecken zu springen und sich dabei selbst zu filmen. So wundert es nicht, dass auch die fünfjährige Bar als Nesthäkchen unter einer Angstneurose leidet. Der tatkräftigen Maya (Maya Maron) fällt es zusehens schwerer, die Familie zusammenzuhalten. Erst als Ido nach einem mißglückten Schwimmbecken-Sprung ins Koma fällt, beginnen sich die Dinge für alle Familienmitglieder zu ändern.

Bergman zeigt ein unbekanntes Israel. Nicht der auch in deutschen Wohnstuben allgegenwärtige Nahost-Konflikt bestimmt hier das Leben einer Familie aus der unteren Mittelschicht. Es sind vielmehr private Probleme, wie sie überall in der westlichen Welt zu finden sind. Doch wie im Nahost-Konflikt scheint auch den Ulmans jeglicher Ausweg in eine bessere Zukunft verbaut zu sein.

Es gibt noch Hoffnung

Filmszene Broken Wings Film Israel
Filmszene aus "Broken Wings"Bild: Alamode Filmverleih

Die Situation der Familie wird in "Broken Wings" zu einer Allegorie auf Israel und seinen zerbrochenen Träumen. In dieser düsteren Grundstimmung werden die Kinder zu den Helden des Films. "Dies spiegelt die tiefe soziale Krise einer Elterngeneration wider, der dieses Land entgleitet", umschrieb Regisseur Bergman in einem Interview sein Thema. Das Drehbuch entstand bereits vor fünf Jahren nach der Ermordung von Regierungschef Izchak Rabin. Israel war, wie die Ulmans durch den Verlust des Familienvaters, zum "Waisen" geworden, wie Bergman sagt.

Filmszene Broken Wings Film Israel
Filmszene aus "Broken Wings"Bild: Alamode Filmverleih

Der Film gibt jedoch auch Zuversicht: Die auseinander gedriftete Familie kommt sich letztlich einander wieder näher. Trotz der episodischen Inszenierung ergibt die Schilderung des traumatisierten Alltags der einzelnen Familienmitglieder ein in sich stimmiges und eindringliches Gesamtwerk. Bergman erzählt die Geschichte mit Einfühlungsvermögen, Humor und ohne falsches Pathos. Er deutet mehr an, als er implizit sagt, wodurch er der Gefahr entgeht, allzu moralisch zu werden. "Broken Wings" überzeugt durch präzise Dialoge und einfache Bilder, vor allem aber durch eine exzellente Besetzung: Die Schauspieler verleihen ihren Figuren, von der Mutter bis zum kleinsten Familienmitglied, viel Charme, aber auch Eigenwilligkeit. Der Film wurde nicht nur in Israel ein großer Erfolg. Auch bei der Berlinale 2003, wo "Broken Wings" in der Reihe "Panorama" lief, erhielt der Film mehrere Preise. (fro)