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Ein Tag am Tahrir-Platz

10. Februar 2011

Auch mehr als zwei Wochen nach den ersten Protesten füllt sich der Tahrir-Platz jeden Tag mit Demonstranten. Deutsche Welle-Reporterin Mona Hefni beschreibt die angespannte Lage aus ihrer ganz persönlichen Sicht.

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Durchkreuztes Plakat von Präsident Mubarak (Foto: Mahmoud Tawfiq)
Ägypter verlangen den sofortigen Rücktritt von Präsident MubarakBild: DW

Ein neuer Tag in Kairo, zwei Wochen nach den ersten Protesten. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen verabschiede ich mich am 02. Februar von meinen Eltern und meinem Sohn. Ob heute alles gut geht, frage ich mich, ob ich lebend wieder nach Hause komme? Sollte ich nicht lieber zu Hause bleiben, vielleicht passiert ja gerade heute etwas ganz Schlimmes?

Zwischen den Fronten

Ich parke mein Auto in einer Seitenstraße hinter dem Tahrir-Platz. Von hier aus kann ich schon die Panzer sehen. Sie stehen vor dem ägyptischen Museum, an einem der Eingänge zum Tahrir-Platz. Nur wenige Menschen laufen auf dieser Straße. Die meisten bleiben neben ihren Geschäften stehen und schauen zum anderen Ende des Platzes. Sie beobachten, wie sich dort Pro-Mubarak Anhänger versammeln und langsam losmarschieren.

Hinter mir höre ich Stimmen. Die Männer sind keine Zivilisten. Offensichtlich sind das Polizisten in Zivil. Sie verfolgen mich und reden übertrieben laut, um mich unter Druck zu setzen. Mein Herz rast und ich gehe schneller. Ich brauche mehr Demonstranten um mich rum, um mich sicherer zu fühlen. Als ich um die Ecke laufe, sehe ich sie, wie Ameisen, die plötzlich und schnell aus einem Loch herauskommen und alle in eine Richtung laufen: zum Tahrir-Platz.

Informanten unter den Demonstranten

Demonstranten stellen sich der Polizei entegegen (Foto: AP)
"Mr. President go out" - Demonstranten stellen sich der Polizei entegegenBild: AP

Ich schließe mich der Menge an, doch ein Mann schickt mich nach rechts: Ich soll den Eingang für Frauen nehmen. Die separaten Eingänge wurden für die Demonstrationen eingeführt, damit sich Männer und Frauen nicht zu nahe kommen. Die Männer drängen sich auf dem Bürgersteig. Jeder muss seinen Personalausweis hochhalten, damit die Zivilisten, die am Eingang stehen, alle kontrollieren können. Danach tasten sie die Demonstranten einzeln nach Waffen ab. Sie wollen damit die Informanten Mubaraks daran hindern, sich unter die Demonstranten zu mischen. Hier und da umzingelt eine Gruppe von Menschen eine einzelne Person und schiebt sie zum Militär rüber: ein Informant oder ein Geheimpolizist, der sich unter die Menge mischen wollte. "Friedlich!", rufen einige Demonstranten, um die anderen davon abzuhalten, den Mann anzugreifen.

Protest mit Satire

Der Tahrir-Platz ist voll. Einige Menschen sitzen auf dem Boden, andere sind auf den Beinen und rufen laute Parolen gegen die Regierung. "Gamal, sag deinem Vater, dass das ganze Volk dich hasst", skandieren einige. Aus allen Ecken hört man die Demonstranten wie bei einem unorgansierten Chor: "Das Volk will den Sturz des Regimes!" und "Geh!". Sie halten Plakate mit der Aufschrift "Husni ist absolut verrückt geworden". Ein Mann mit einem blauen Müllsack grinst frech und zeigt auf den Boden: "Leute, bitte hebt Mubarak auf." Die Leute lachen, bücken sich, heben den Müll auf und werfen ihn voller Genugtuung in den Sack.

Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Foto: dpa)
Tausende Demonstranten versammeln sich tagtäglich am Tahrir-Platz in KairoBild: picture alliance/dpa

Mit Schwertern und Kamelen gegen Demonstranten

Ein Helikopter kreist über dem Tahrir-Platz. Die Geräusche von Schüssen am ägyptischen Museum höre ich ganz leise und nehme sie kaum war - denn Schüsse sind inzwischen etwas Alltägliches geworden. Doch plötzlich breitet sich Unruhe aus. Die Anhänger Mubaraks versuchen gewaltsam auf den Tahrir-Platz zu kommen. Einige schaffen es auch. Sie halten große Plakate mit der Aufschrift "Für Mubarak" und versuchen die Demonstranten zu provozieren, damit es zu Ausschreitungen kommt. Die wenigen Frauen, die Pro-Mubarak-Poster halten, schauen niemanden direkt an. Sie laufen schnell und still durch die Menge. "Friedlich, friedlich!" - Wieder versuchen viele Demonstranten, sich gegenseitig zu beruhigen. Alle schauen fassungslos zu.

Immer mehr Anhänger Mubaraks drängen auf den Platz. Die Demonstranten bilden eine Menschenkette, um sie davon abzuhalten. Manchen wird es zu viel, sie laufen zu den Eingängen. "Sie haben alle Eingänge blockiert!", höre ich von allen Seiten. Plötzlich wird es laut, um mich herum wird geschrien. Ich schaue nach hinten und kann es kaum glauben. Männer auf Pferden und Kamelen kommen auf uns zu und schwingen ihre Schwerter. Ich renne zum Bürgersteig, um mich in Sicherheit zu bringen. Eine Frau zieht mich am Arm und bietet mir an, dass ich bei ihr ins Treppenhaus kommen kann, bis die Unruhen vorbei sind. Ich gehe mit und setze mich auf die Treppe, direkt am Eingang. Menschen rennen schreiend am Haus vorbei. Auch der Hausmeister steht an der Eingangstür und beobachtet das Chaos. Er hält andere Leute davon ab, sich auch im Treppenhaus zu verstecken. Er kenne sie nicht und habe Angst, dass es Pro-Mubarak Anhänger seien, die die Bewohner des Hauses gefährden könnten. Mir ist unwohl, ich möchte mich nicht in einem fremden Treppenhaus verstecken, denn die Lage droht außer Kontrolle zu geraten. Ich stehe auf und mache mich auf die Suche nach meinem Auto.

Autorin: Mona Hefni
Redaktion: Sonila Sand