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Ein Stück Heimat

Gerda Meuer, Brüssel9. Mai 2002

Der 9. Mai 1950 gilt als Geburtsstunde des europäischen Einigungsprozesses. Seitdem wird dieser Tag als Europa-Tag gefeiert. Gerda Meuer kommentiert.

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Der Europatag ist ein unbekannter Gedenktag. Bei einer Umfrage unter Europäern könnte wohl nur eine kleine Minderheit mit dem Datum 9. Mai etwas anfangen, geschweige denn den Hintergrund dieses europäischen Feiertages erklären. Deutschen ist zudem eher der Tag vor dem Europatag ein Begriff, der 8. Mai - die Kapitulation und das Ende von Hitler-Deutschland.

Aber der Europatag ist zu Unrecht ein übersehener Gedenktag. Denn mit einem Blick in die Geschichte wird deutlich, wie wichtig er für die Entwicklung unseres Kontinentes ist: Die Europäische Einigung hat Europa in weiten Teilen zu einem beständigen Frieden verholfen. Und das ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass noch für die jetzige Großeltern-Generation in Deutschland ein Krieg mit den französischen Nachbarn durchaus denkbar war. Schon unter diesem Aspekt ist Europa also die Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Daran erinnert der Europatag.

Und seit dem 1. Januar dieses Jahres ist Europa auch für alle Bürger im Alltag greifbar geworden: Die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung Euro hat die politische und wirtschaftliche Idee der EU rund 300 Millionen Menschen näher gebracht, als es Worte jemals konnten. Und das mit einem Projekt, das zunächst als "kränkelnde Frühgeburt" und "Esperanto-Geld" verspottet wurde. Der Euro hat sich im Laufe weniger Monate so etabliert, dass selbst notorische Skeptiker unter den EU-Staaten ihre Haltung zu überdenken beginnen: In England wird inzwischen über ein Referendum zur Euro-Einführung diskutiert, und selbst die Schweden und die Dänen beginnen die Vorteile der gemeinsamen Währung zu erkennen.

Dennoch: der Europatag ist nicht nur wenig bekannt, sondern Europa an sich ist auch wenig beliebt bei den Menschen. Die Brüsseler Bürokratie mit ihren unzähligen Verfahrensregeln, Richtlinien und Verordnungen ist für viele ein abschreckendes Beispiel für das, was Europa nicht sein sollte. Und die jüngsten Atttacken des deutschen Bundeskanzlers gegen Brüssel steigern die Beliebtheit bei den Deutschen sicher auch nicht.

Die führenden Politiker der Europäischen Union haben die Mängel des Systems allerdings auch erkannt: Seit einigen Wochen tagt der so genannte Europäische Konvent. Er soll die komplizierten Vertragswerke der Union überprüfen und vereinfachen. Allerdings: niemand sollte sich von dem hochrangig besetzten Gremium Wunder erwarten. Einfache Lösungen wird es, auf dem Weg eine europäische Verfassung zu entwerfen, nicht geben. Auch die Verfassungen der Nationalstaaten basieren nicht auf einfachen Texten. Auf dieser Ebene wird Europa also vermutlich ein "Elite-Projekt" bleiben.

Aber es gilt trotzdem, die Menschen mitzunehmen auf dem Weg der Einigung des Kontinents, der ja noch nicht zu Ende gegangen ist. Auch deshalb ist der Europatag wichtig. Und nicht zuletzt: in diesen Zeiten der Globalisierung, in denen alle ahnen, dass der Nationalstaat zu klein ist, um die anstehenden Probleme zu lösen, kann dieser Gedenktag ein Stück Heimat in Europa sein.