Ein Sportwagen aus Sachsen
5. November 2009
Noch heute bekommen viele, vor allem männliche, ehemalige DDR-Bürger beim Namen "Melkus" einen verträumten Blick. Der im Volksmund nach seinem Innenleben und dem Konstrukteur "Wartburg Melkus" genannte RS 1000, war der einzige je in der DDR gebaute Sportwagen. Eigentlich war er für die Renntrecke gebaut. Da er aber eine Straßenzulassung hatte, sah man ihn gelegentlich auch auf der Landstraße. Sein außergewöhnlich schnittiges Aussehen mit den markanten Flügeltüren machte den "Melkus" zur Legende. Und genau das wäre er auch geblieben, wäre die Wende nicht gekommen. Nach einer limitierten Nachbauserie präsentiert die 2006 gegründete Melkus Sportwagen Manufaktur nun einen Nachfolger, den RS 2000.
Ein Gewerbegebiet am östlichen Stadtrand von Dresden. Die kleine Montagehalle ist unauffällig, auf dem Parkplatz stehen diverse Familien-Kombis und ein Geländewagen, aber weit und breit kein Rennauto. In der Halle laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Zwei nagelneue Prototypen werden auf Hochglanz poliert.
Ein waschechter "Melkus"
Ein erster Blick auf die neuen Wagen beruhigt - Ja, es ist wieder ein "Melkus". Und das liegt nicht nur an dem Schriftzug, der Motorhaube und Heck ziert. Das Wichtigste, das Erkennungszeichen des "Melkus" sozusagen, waren die markanten Flügeltüren - und die hat der neue RS 2000 ebenso wie der alte RS 1000.
Exakt 40 Jahre nachdem sein Großvater Heinz Melkus seinen RS 1000 der Öffentlichkeit präsentierte, steht nun sein Enkel Sepp vor dem Nachfolgemodell. Man habe keinen Retro-Sportwagen gewollt, sagt er. Und tatsächlich ist es gelungen, dass der RS 2000 zwar an den berühmten Vorgänger erinnert, aber eben ein moderner Sportwagen ist.
Eine kleine Sensation
Heinz Melkus war 1969 eine kleine Sensation gelungen: Der Dresdner Rennsportler hatte die DDR-Obrigkeit anlässlich des 20. Jahrestages der DDR davon überzeugen können, die Genehmigung zum Bau eines für Straßen zugelassenen Sportwagens zu geben. Natürlich konnte Melkus nicht aus den Vollen schöpfen, sondern musste zusehen, wie er aus den Teilen, die der sozialistische Wirtschaftsraum so hergab, ein Auto zusammen bekam. Und so offenbart der auf den ersten Blick so schnittige Rennwagen bei genauerem Hinsehen jede Menge "Zutaten": das Chassis und der frisierte Zweitakt-Motor stammten vom Wartburg, die Heckscheibe aus einer TATRA-Straßenbahn, die Bremsen vom Polski-Fiat, die Vergaser vom MZ-Motorrad und die Luftfilter waren eigentlich für den Einbau in den "ROBUR"-Bus vorgesehen.
Trotzdem war der "Melkus" ein ernst zunehmender Konkurrent auf der Rennstrecke, an der er allerdings zugegebenermaßen neben anderen frisierten Wartburgs, Ladas oder Trabi startete.
Exot im DDR-Einerlei
Das flache schnittige Design aber musste sich in den 1960er Jahren nicht hinter dem von Ferrari, Lamborghini und Co verstecken. Exakt 101 Stück der begehrten Sportwagen stellte Heinz Melkus in seiner Dresdner Autowerkstatt her. 30.000 Ostmark kostet der Bolide, doch es gab ihn niemals offiziell zu kaufen. Er wurde nur an Mitglieder im Rennsportverein verkauft oder man konnte ihn mit ein wenig Glück via Tauschgeschäft auf einem privaten Automarkt bekommen. Dann kostete aber ein zehn oder 15 Jahre alter "Melkus" noch immer mindestens den Neupreis, erzählt Thomas Remus aus Sömmerda in Thüringen. Remus Vater war Rennfahrer und so wollte auch der Sohn gern einen solchen schnittigen Flitzer haben. Remus hatte Glück, denn er besaß damals einen "Citroen Pallas". Diesen tauschte er gegen den RS 1000 - doch glücklich wurde er mit dem Wagen nicht. Zwar waren ihm die bewundernden Blicke vor den Dorfgasthöfen zur samstäglichen Disko gewiss. Dafür aber musste er ständig an dem Auto schrauben. Das Schlimmste aber sei gewesen, dass der frisierte 75 PS Wartburg Motor nicht wirklich mithalten konnte. Auch wenn "das Ding aussah wie von der NASA", so Remus, "ein 1600er Lada, der hat gewunken. Da war ich der Zweite, auch wenn es aussah, als hätte ich gerade erst den dritten Gang drin." Dazu war der Wagen natürlich ein Rennauto - extrem hart, sehr laut und als Alltagswagen quasi ungeeignet.
Neuer Melkus mit altbewährter Philosophie
Ein Vergleich zwischen dem 40 Jahre älteren Vorgängermodell mit dem neuen RS 2000 sei unfair, meint Sepp Melkus. Der Neue entspricht selbstverständlich sämtlichen Komfort- und Sicherheitsanforderungen heutiger Autos. Dazu gehören Airbags, Klimaanlage und sogar ein Kofferraum, der diese Bezeichnung verdient. Unter der Motorhaube sitzt ein 270 PS starker Vierzylinder-Motor - komplett aus Aluminium. Überhaupt habe man bei der Konstruktion durchgängig auf Leichtbauweise geachtet, erklärt Sepp Melkus. Dass entspräche der Philosophie seines Großvaters - und die scheint noch immer modern: Denn mit einem Leergewicht von unter einer Tonne schafft es der RS 2000 trotz der "nur" 270 PS in weniger als fünf Sekunden von Null auf 100. Andere, viel schwerere Wagen brauchen dafür mindestens 600 PS. Das leichte Gewicht macht den RS 2000 für seine Klasse recht sparsam, er kommt mit zehn Litern auf 100 Kilometer aus. Außerdem ist das Leichtgewicht wie gemacht für einen alternativen Antrieb. Melkus schaut da auf den Elektromotor.
Der Erfolg der Retro-Serie
1979, nach zehn Jahren, wurde die Produktion des RS 1000 eingestellt - die Materialsituation wurde immer schwieriger. Außerdem wollte Heinz Melkus das Auto weiterentwickeln. Diesmal aber gaben die Verantwortlichen kein grünes Licht. Neben der Produktion des Autos betrieb Heinz Melkus eine Fahrschule - und das tat er dann auch bis 1989. Nach der Wende eröffnete die Familie Melkus das erste BMW-Autohaus in Dresden, später kamen auch wieder Rennwagen dazu - Melkus vertrieb den "Lotus". Doch immer wieder klopften potentielle Kunden an die Tür, die weder einen BMW noch einen "Lotus" wollten - sie wollten einen RS 1000. Der "Wartburg Melkus" war zur begehrten Rarität geworden. 2005 starb Heinz Melkus. 2006 gründeten sein Sohn Peter und der Enkel Sepp die "Melkus Sportwagen Manufaktur" und stellten noch einmal 15 Zweitakt-RS 1000 mit original Wartburg-, Trabi- und TATRA-Teilen her. Hinzu kamen fünf als RS 1600 bezeichnete Autos. Sie sehen zwar aus wie der originale "Wartburg Melkus", haben aber einen Viertakt-Motor. Bis zu 70.000 Euro kostete ein solches Liebhaberstück.
Solides Familienunternehmen
Der Erfolg der Retro-Serie legte wohl auch den Grundstein für den neuen Wagen. Auch wenn der RS 1000-Nachbau nicht die Entwicklungskosten des neuen Wagens erwirtschaftet hat. Dafür habe man sich anderweitig Kapital besorgen müssen. Doch den Dresdnern ist der Erfolg zuzutrauen. Das Familienunternehmen mit Vater Peter als technischem und Sohn Sepp als kaufmännischem Leiter wirkt sehr solide. Hier wurde nichts aus dem Boden gestampft, sondern hier geht es Stück für Stück voran. Selbst die Montage-Halle ist bisher nur gemietet. Zehn Mitarbeiter hat die Manufaktur, Peter Melkus und zwei weitere gehören zu dem Personal, das schon unter Heinz Melkus Autos zusammengeschraubt hat.
100.000 Euro soll der RS 2000 kosten, 25 Stück pro Jahr will Melkus herstellen. Kunden bekommen garantierte Exklusivität. Den "Melkus" gibt es nur vor Ort in Dresden. Bei jedem Auto, betont Sepp Melkus, lege man Wert auf individuelle Betreuung und auf den Bezug zur Familie.
Auf der Rennstrecke zu Hause
Auch wenn der RS 2000 äußerlich ein schicker Sportwagen ist - er ist ein ernsthaftes Rennauto. Und da haben der neue und der alte Melkus etwas gemein, was bisher einzigartig in der Rennsportwelt ist: Durch die Straßenzulassung kann der Wagen ganz normal zur Rennstrecke gefahren werden, dort mit geringfügigen Umbauten flott fürs Rennen gemacht werden und auch wieder nach Hause gefahren werden. Schon 2010 werden Rennsport-Fans einen RS 2000 an der Strecke bewundern können. Und hinterm Steuer sitzt Sepp Melkus, wie schon vor ihm Großvater Heinz, Vater Peter und Onkel Uli.
Autorin: Secilia Pappert
Redaktion: Zhang Danhong