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Ein Sieg gegen die Kulisse

18. August 2016

Die deutschen Beachvolleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst müssen im Finale an der Copacabana gegen zwei Gegnerinnen und knapp 12.000 Fans antreten. Und holen Gold! Joscha Weber hat das Duo beobachtet.

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Am Ziel: Laura Ludwig (l.) und Kira Walkenhorst (r.) sind OlympiasiegerinnenBild: Reuters/A. Latif

Und plötzlich kullern die Tränen. Laura Ludwig steht in einem schmucklosen Gang des Stahlrohr-Konstruktes, das sich Beachvolleyball Arena nennt und weint. "Die letzten vier Jahre", sagt sie und dann gerät ihre Stimme ins Stocken. Sie ringt noch mit den Tränen und will sie zurückhalten. Dann gibt sie nach. "Die letzten vier Jahre haben wir super hart gearbeitet. Wir hatten auch einige Tiefs, haben uns aber immer wieder hochgearbeitet. Und dass wir jetzt ganz oben stehen, ist einfach unglaublich." Es ist ein bewegender Moment, der sich um 1:35 Uhr Ortszeit auf der Copacabana abspielt.

Laura Ludwig und ihre Teamkollegin Kira Walkenhorst holen als erstes europäisches Frauen-Team eine Medaille und gleich die goldene. Dabei sah es nicht immer danach aus: Beide mussten immer wieder Verletzungen und Rückschläge wegstecken, noch kurz vor Olympia plagten sie "Wehwehchen", wie Ludwig sagt. Nun, nach dem größtmöglichen Triumph, kommt all das wieder hoch. Wie ein Film läuft es vor ihren Augen ab, und auch Kira Walkenhorst kann noch nicht begreifen, dass sie selbst Teil dieses Films ist. "Es ist krass und immer noch unwirklich. Dass dieser Traum jetzt hier in Erfüllung geht, ist noch nicht bei mir angekommen", sagt die 25-Jährige. Sie ist die Unerfahrenere des deutschen Duos und mit dem, was auf beide nun hereinprasselt, fast schon überfordert.

Vorbereitung mit Psychologin

Als Laura Ludwig und Kira Walkenhorst vor dem Finalduell die Arena betreten, werden sie noch wie ihre Gegnerinnen aus Brasilien bejubelt und beklatscht, ein "Gänsehaut-Moment", sagt Ludwig. Doch dann ist es mit der Höflichkeit von den Rängen vorbei. Jeden Aufschlag des deutschen Teams begleitet ein gellendes Pfeifkonzert. Den Bronze-Gewinnern Walsh Jennings/Ross aus den USA ging es im kleinen Finale um Bronze gegen das zweite brasilianische Paar Franca/Antunes kurz zuvor nicht anders. Fairness sieht anders aus. Aber Ludwig und Walkenhorst haben sich auf den Hexenkessel an der Copacabana vorbereitet. Gemeinsam mit einer Psychologin haben sie vor dem Finale besprochen, "wie man mit solchen extremen Situationen umgeht. Es war so laut, dass wir unser eigenes Wort nicht verstanden haben", beschreibt Ludwig den Auftakt der Partie später.

Brasilien Rio Olympische Spiele Volleyball Finale (Foto: dpa)
Im ersten Satz ein enges Match, im zweiten Satz eine Demontage: Das deutsche Duo setzt sich klar durch.Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Und das Geschehen unten im Sand heizt die Atmosphäre auf den Rängen weiter an: Brasilien und Deutschland liefern sich einen packenden Kampf. Agatha Bednarczuk und Barbara Seixas holen nahezu unmögliche Bälle und zeigen am Netz unerwartete Varianten, die die Deutschen vor Probleme stellen - vielleicht erstmals in einem bislang nahezu makellosen Turnier. Doch Ludwig und Walkenhorst antworten postwendend mit gutem Stellungsspiel und schnellen Punkten. So wechselt die Führung hin und her. Beim Stand von 13:12 für Brasilien leisten sich die Gastgeber aber gleich drei Fehler im Stellungsspiel hintereinander, und so kann sich das Duo Ludwig/Walkenhorst um zwei Punkte absetzen. Danach packt Kira Walkenhorst einen "Monsterblock" aus, wie sie das hier nennen, und plötzlich wird es still im Stadion. Die gelb-grün gekleideten Fans sehen die Felle ihres Duos im ersten Satz davonschwimmen. Den ersten Satzball lassen die Deutschen noch ungenutzt, der zweite sitzt aber, dank einem gefühlvollen Ball von Laura Ludwig ins linke Halbfeld der Brasilianer zum 21:18.

Schockstarre im Moment des Triumphes

Psychologisch zeigt der Satzgewinn sofort Wirkung. Während die Brasilianerinnen verunsichert erscheinen, erwischen Ludwig und Walkenhorst einen Traumstart: Mit schnellen Angriffen ziehen sie auf 6:1 davon. Angefeuert von einem kleinen Grüppchen deutscher Fans, das plötzlich immer lauter zu hören ist, verteidigt das deutsche Duo den Vorsprung. Agatha Bednarczuk und Barbara Seixas wirken nun zunehmend verzweifelt beim Versuch, die drohende Niederlage noch abzuwenden. Der DJ gibt am Rand des Spielfeld sein Bestes, um die Stimmung beim Stand von 8:14 aus brasilianischer Sicht noch zu retten. Und tatsächlich scheint das die Brasilianerinnen noch einmal zu pushen. Bei eigenem Aufschlag werden sie wieder besser und verkürzen auf 12:15. Doch Ludwig und Walkenhorst lassen nicht locker, erhöhen den Druck auf ihre Gegnerinnen. "Sie haben gerade beim Aufschlag die besseren Lösungen gezeigt. Sie waren sehr druckvoll", lobt Jonas Reckermann, Olympiasieger 2012 in London und an diesem Abend nervöser Zuschauer. Ludwig und Walkenhorst arbeiten sich Punkt für Punkt bis zum Matchball vor. Der erste Versuch endet im Netz. Dann Aufschlag Brasilien: Barbara Seixas läuft an und springt, der Ball fliegt über das Netz - und ins Aus. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst sind Olympiasieger und stehen erst einmal nur da.

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Um jeden Ball gekämpft und mit Gold belohntBild: Reuters/A. Latif

"Es hat es eine Weile gedauert, bis wir das realisiert haben. Meine Leitungen waren da ein bisschen länger", beschreibt Laura Ludwig den wichtigsten Moment ihrer langen und erfolgreichen Karriere. Die 30-Jährige löst sich dann als Erste aus der Schockstarre und fällt ihrer Teampartnerin in die Arme. Während Ludwig immer wieder mit den Tränen kämpft, ziehen ihre Gegnerinnen verbal den Hut. "Sie haben sich den Sieg verdient, sie waren einfach besser", sagt Agatha Bednarczuk, der die Enttäuschung über das verlorene Finale ins Gesicht geschrieben steht. Kein Wunder, denn ein klar verlorenes Finale in einer Sportart, die hier zu den populärsten zählt - das ist zu viel für die brasilianische Seele. Nun bleibt nur die Hoffnung auf eine Revanche in einer anderen Volkssportart: Im Fußballfinale der Männer geht es wieder gegen Deutschland - vielleicht dieses Mal mit brasilianischen Freudentränen.