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Ein See verschwindet

Stephan Hille14. Juni 2005

Können Seen verschwinden? Über einen längeren Zeitraum schon. Das bekannteste Beispiel ist der Aralsee. Aber es gibt weitere. Die Experten sind ratlos. Aber vielleicht ist ja Amerika schuld …

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Stephan Hille

Über die Jahre ist der Aralsee, das einst viertgrößte Binnengewässer zwischen Kasachstan und Usbekistan gelegen, auf ein Viertel seiner einstigen Größe zusammengeschrumpft. Die Gründe dafür sind klar: Der Aralsee "verdurstet" noch immer wegen der extensiv betriebenen Baumwollwirtschaft. In einem Dorf bei Nischni-Nowgorod, knapp 400 Kilometer östlich von Moskau ging es kürzlich ganz schnell: Über Nacht verschwand kürzlich ein ganzer See. Dörfler wie Experten sind ratlos. Manche meinen, Amerika sei schuld.

Wer zog den Stöpsel?

Auf einmal war er weg, der Weiße See von Bolotnikowo. Einst rund einen halben Kilometer lang und an der tiefsten Stelle immerhin 16 Meter tief. Als hätte eine geheimnisvolle Kraft oder Macht über Nacht wie in einer Badewanne den Stöpsel gezogen. Ein gewisser 74-jähriger Fjodor Dobrjakow soll der erste gewesen sein, der an einem Frühlingsmorgen im Mai sah, dass es nichts mehr zu sehen gab. Jedenfalls nichts mehr vom Weißen See. Dort wo er einst Karpfen, so dick wie Birkenholz gefangen hatte, sah Dobrjakow jetzt nur noch ein matschiges Loch. Und ein paar zappelnde Fische.

Natürlich wollte zunächst niemand im Dorf dem armen, aufgeregten und - das muss betont werden - nüchternem Fjodor Dobrjakow auch nur ein Wort über den nicht mehr vorhandenen Weißen See glauben. Doch dann wurden die Behörden verständigt, später kamen die Journalisten. "So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt", wurde ein Vertreter des russischen Katastrophenschutzministeriums von vor Ort zitiert. Die These einiger grimmiger Männer im Dorf, wonach die Amerikaner vermutlich ihre Hände dabei im Spiel gehabt hätten, wurde zumindest von den offiziellen Ermittlern verworfen.

Höhere Mächte oder unterirdische Flüsse?

Wahrscheinlicher gilt, dass der See plötzlich und aufgrund einer Verschiebung von Erd- und Bodenschichten in einen unterirdischen Fluss abgeflossen ist. Auftrieb erhielt diese Erklärung, nachdem mehrere Angler Tage später aus dem wenige Kilometer entfernten Fluss Oka plötzlich mächtige Karpfen herauszogen. Normalerweise wurden hier nie Karpfen gefangen, aber was ist schon normal, wenn ein ganzer See von heute auf morgen verschwindet?

Im Dorf Bolotnikowo erinnerten sich die Alten daran, wie vor vielen Jahren Wäsche, die von den Frauen im Weißen See gewaschen wurde, plötzlich weg schwamm und Tage später in der Oka wieder auftauchte. Damit scheint klar: Weder Amerika noch eine höhere Macht ist für das Verschwinden des Weißen Sees verantwortlich. Einerseits ist das für die Einwohner von Bolotnikowo beruhigend, andererseits bringt ihnen diese Erkenntnis ihren geliebten See auch nicht wieder.