Literatur-Schloss
10. November 2009Die beiden Stuttgarter Architekten Ludwig Eisenlohr und Carl Weigle wussten genau, was sie ihren Auftraggebern schuldig waren. Der Marbacher Schillerverein wollte eine Hommage an den Dichter, ein Museum, denn das Schiller-Geburtshaus, das bis dahin diesen Zweck erfüllte, war viel zu klein. Ein Schiller-Denkmal gab es schon, es stand - und steht - auf der sogenannten Schillerhöhe, und genau dort wurde 1903 das neue Museum eingeweiht.
Ein architektonischer Traum in lichter Höhe
Unten im Tal fließt der Neckar, schon etwas breit und behäbig. Blickt man aber von ihm aus hinauf auf den Hügel, an den sich das kleine Marbach schmiegt, meint man, eine Vision vor sich zu haben. Vor allem bei hellem Sonnenschein strahlt dort ein Gebäude weiß, bei dem man sich nicht entscheiden kann: Ist es ein Schloss, ist es eine hochherrschaftliche Villa? Es ist beides - und noch viel mehr. Die Architekten entwarfen eine Stilmischung und orientierten sich dabei an zwei Bauwerken, die beide ideal zum Thema Schiller passen: Zum einen Schloss Solitude unweit von Ludwigsburg. Hier hatte der junge Schiller seine Jugend verbracht, auf der Hohen Karlsschule seinen Hass auf den württembergischen Herzog entwickelt. Zum anderen das römische Pantheon, Kultraum, Symbol für die Dichtkunst.
Schatzhaus der Literatur
Hinter diesen symbolträchtigen Mauern lagern wahre Schätze für den Literaturfreund. Früher wurden hier in einzelnen Räumen Dichter abgehandelt - Schiller natürlich, aber auch seine schwäbischen Kollegen Uhland, Mörike, Kerner. Jetzt hat Ausstellungsleiterin Heike Gfrereis einen anspruchsvollen Gang durch die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts inszeniert. In den zahlreichen Vitrinen lagern rund 700 Exponate. Das sind zum Teil jene Objekte, die das anekdotische Interesse der Besucher wecken: Persönliche Gegenstände wie Schillers bunt gemusterte Beinkleider, sein Weinglas oder der Turmhahn, der Eduard Mörike zu Gedichten anregte. Doch derlei Objekte sind in der Minderzahl.
Lehrgang durch die Literaturgeschichte
Es überwiegen schriftliche Quellen - alte Buchausgaben, vor allem aber kostbare Autographen. An ihnen kann man nachvollziehen, welche Themen die Dichter jener Zeit faszinierten: Ihnen war der Ursprung wichtig - der Ursprung der Dinge, der Ursprung der Dichtung. Wichtig war ihnen auch Liebe - und nicht selten Wahnsinn. Hölderlin verfiel ihm, der Arzt und Dichter Kerner versuchte ihn zu heilen. Manchmal sind es unscheinbar wirkende Notizen - auf denen Schiller beispielsweise Zitate aus Quellen festhielt, die dann in das spätere Dichtwerk einflossen. Schritt für Schritt kann man nachvollziehen, wie aus der Prosa eines Geschichtsbuches Poesie für ein Drama wurde.
Zarte Farben an den Wänden
Die Innengestaltung der Räume hat der britische Stararchitekt David Chipperfield behutsam vorgenommen. Er legte den ursprünglichen roten Linoleumboden frei und gestaltete die Wände farblich in Blau- bzw. Grüntönen, damit zitierte er sowohl das Goethehaus in Weimar als auch Jugendstilvillen des 19. Jahrhunderts, Schillers Lebenszeit und die Entstehungszeit des Museums - eine Symbolik, die würdig an die anschloss, die die beiden Erbauer des Museums vor rund 100 Jahren im Sinn hatten.
Autor: Rainer Zerbst
Redaktion: Elena Singer