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Feiertag mit Sprengkraft

Roman Goncharenko4. November 2013

Russland feiert am 4. November den Tag der Einheit des Volkes. Der Feiertag wird seit Jahren von Aufmärschen der Rechtsextremen überschattet, die Stimmung gegen Migranten machen. Diesmal ist die Lage besonders brisant.

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Russischer Marsch der Ultranationalisten in Moskau am 04.11.2013 (Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin)
Bild: Reuters

Viele Moskauer haben sich vor diesem 4. November gefürchtet. Wer an diesem Montag unterwegs ist, möge vorsichtig sein, hatte Rustam Arifdschanow gewarnt. Der Vorstandsvorsitzende des Aserbaidschanischen Kongresses in Russland rief seine Landsleute auf, ihre Cafés und Restaurants sollten "lieber ganz geschlossen bleiben, damit sie nicht demoliert werden".

Der Grund für soviel Sorge: Der sogenannte "Russische Marsch", eine jährliche Aktion russischer Nationalisten. Tausende Menschen demonstrierten nach Agenturangaben am Montag (04.11.2013) im Moskauer Stadtteil Lublino und in anderen russischen Städten gegen Migranten, für ein "starkes und slawisches Russland" und für das russische "Kernvolk". Die teilweise mit schwarzen Masken vermummten Rechtsextremen riefen auch "Russland nur für Russen".

Bis zum späten Nachmittag waren keine Ausschreitungen zu verzeichnen, wohl auch dank des starken Aufgebots an Sicherheitskräften. Dass Arifdschanows Sorge aber nicht unbegründet war, zeigen die Vorfälle der vergangenen Monate und Jahre.

Teilnehmer des Russischen Marsches in Moskau am 04.11.2013 (Foto: DW/Mikhail Bushuev)
Wer solche Fahnen schwenkt, der lehnt Gewalt kaum ab: Teilnehmer des Russischen MarschesBild: DW/M. Bushuev

Jagd auf Dunkelhäutige

In der Vergangenheit waren solche Demonstrationen oft von Gewaltausbrüchen begleitet, als zum Teil angetrunkene russische Rechtsextreme Jagd auf dunkelhäutige Menschen machten. Es gab Verletzte und sogar Tote. Die Opfer waren meistens Arbeitsmigranten aus Zentralasien und dem Kaukasus.

Vor allem die Metropole Moskau zieht Hunderttausende aus ehemaligen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan oder Usbekistan an. Sie arbeiten oft illegal auf dem Bau oder in der Gastronomie. Viele Russen glauben, Migranten seien für die gestiegene Kriminalität verantwortlich. Die Polizei und andere Behörden haben in den vergangenen Monaten zahlreiche Fremdarbeiter festgenommen.

Rechtsextreme kapern den Feiertag

Festnahmen von Migranten in Russland (Foto: RIA Novosti)
Festnahmen von Migranten in RusslandBild: picture-alliance/dpa/RIA Novosti

Eigentlich feiern die Russen am 4. November den Tag der Einheit des Volkes. Der Feiertag wurde erst 2004 eingeführt und soll an den Sieg des russischen Widerstands gegen polnische Besatzer im Jahr 1612 in Moskau erinnern. Das Datum lasse jedoch viele Russen kalt, sagt Lew Gudkow. "Die meisten sehen darin den Versuch, den 7. November aus dem Gedächtnis zu streichen", so der Direktor des Moskauer Meinungsforschungsinstituts "Lewada-Zentrum" im Gespräch mit der Deutschen Welle. Gemeint ist der Jahrestag der Oktoberrevolution 1917, der in Sowjetzeiten begangen wurde.

Rechtsextreme haben den Tag der Einheit des Volkes von Anfang an für sich entdeckt. "Während die Behörden zunächst keine Inhalte für den Feiertag hatten, haben die Nationalisten schnell reagiert und ihn praktisch privatisiert", sagt im DW-Gespräch Alexander Werchowski. Er ist Direktor des Moskauer Zentrums "Sowa", das Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit in Russland untersucht.

Westliche Fachleute bestätigen diese Einschätzung. Die "Russischen Märsche" seien "das wichtigste und größte Ereignis" in der Szene, schreibt der Dresdner Rechtsextremismus-Experte Robert Kusche in einer Analyse. Diverse neonazistische Gruppierungen marschieren an diesem Tag unter schwarz-gelb-weißen Fahnen des russischen Reichs aus dem 19. Jahrhundert - so auch in diesem Jahr. Doch nicht nur die Zarenfahnen, auch Hakenkreuzfahnen und Hitlergruß waren regelmäßig zu sehen.

Angespannte Lage nach Ausschreitungen

In diesem Jahr ist die Stimmung besonders aufgeladen. Erst vor wenigen Wochen soll im Moskauer Stadtteil Birjuljowo ein Aserbaidschaner einen jungen Russen auf offener Straße erstochen haben. Danach kam es zu heftigen Krawallen. Hunderte Bewohner stürmten einen Wochenmarkt, auf dem viele Migranten arbeiten, und lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei.

Rechtsradikale Krawalle im Oktober in Moskau (Foto: MAXIMOV/AFP/Getty Images)
Rechtsradikale Krawalle im Oktober in MoskauBild: Asily Maximov/AFP/Getty Images

Es habe auch andere Ereignisse gegeben, die die negative Stimmung gegenüber Migranten noch explosiver machen, sagt der Soziologe Gudkow. Mitte Oktober hatte sich im südrussischen Wolgograd eine Selbstmordattentäterin aus der russischen Teilrepublik Dagestan in einem Bus in die Luft gesprengt. Sechs Menschen starben. Bei der Bürgermeisterwahl in Moskau Anfang September war der Kampf gegen illegale Migranten das Hauptthema. "Die Gewaltbereitschaft ist vor diesem Hintergrund gestiegen", meint Gudkow.

Generell habe sich die Einstellung zum "Russischen Marsch" radikal verändert, stellt der Experte fest. In einer aktuellen Umfrage des "Lewada-Zentrums" befürworten 40 Prozent der Befragten die rechtsextreme Veranstaltung. Dagegen seien lediglich 25 Prozent. Vor zwei Jahren habe es ein umgekehrtes Bild gegebenen. "Die Zahl derer, die 'Russische Märsche' als eine neonazistische Aktion ablehnen, ist drastisch zurückgegangen", sagt Gudkow.

Spaltung in der rechtsextremen Szene

Alexander Werchowski
Neonazis haben den Feiertag "privatisiert": Alexander WerchowskiBild: privat

Darüber, ob der "Russische Marsch" in diesem Jahr "alle Dimensionen sprengt", wie die Veranstalter verkünden, gibt es unterschiedliche Meinungen. Der Soziologe Gudkow schließt das nicht aus. Werchowski vom "Sowa"-Zentrum ist anderer Ansicht. Es habe nach den Protesten im Winter 2011/2012 eine Spaltung in der rechtsextremen Szene gegeben, sagt Werchowski. Damals hätten Neonazis zusammen mit Linken und liberalen Vertretern der städtischen Mittelschicht gegen die Rückkehr Wladimir Putins auf den Präsidentenposten demonstriert. Dieser gemeinsame Protest habe dazu geführt, dass sich "Hardcore-Neonazis" von den "Russischen Märschen" abwendeten.

Früher nahm auch der oppositionelle Politiker und Blogger Alexej Nawalny an den "Russischen Märschen" teil. Dafür wird er von vielen liberalen Intellektuellen bis heute kritisiert. In den vergangenen Jahren distanzierte sich Nawalny von den "Märschen". Eine Teilnahme in diesem Jahr schloss er zunächst nicht aus. Am vergangenen Samstag (02.11.2013) schrieb er dann in seinem Blog, dass er nicht hingehen werde und nannte als Grund, dass seine Teilnahme von staatlichen Medien für Propaganda missbraucht werden könnte. Er schrieb aber, dass er die "Russischen Märsche" für richtig halte und rief seine Anhänger auf, daran teilzunehmen.