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Ein Nachruf

Jens Thurau6. Juni 2003

"Möllemann springt in den Tod", "Sturz in den Tod", "Ein starker Abgang": Die Zeitungen ziehen ihr Register der Superlativen. Und die Politiker, die Kollegen des Jürgen W.? Jens Thurau hat ihnen ins Gesicht geblickt.

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Die deutschen Zeitungen sind voll mit nur einem Thema: dem furchtbaren Ende des schillerndsten Politikers, den die FDP je hatte, des Ex-Bildungs- und Wirtschaftsministers, des Erfinders der Kampagne 18-Prozent, des Urhebers des erbitterten Streits mit dem Zentralrat der Juden im letzten Wahljahr. Das Ende des Mannes mit dem anti-israelischen Flugblatt, das den Bruch mit der FDP besiegelte. Fest steht bislang: Möllemann ist am nördlichen Rande des Ruhrgebiets mit dem Fallschirm abgestürzt, an dem Tag, an dem der Bundestag die Immunität des mittlerweile fraktionslosen Abgeordneten aufhob und die Staatsanwaltschaft Wohnungen und Büroräume wegen des Verdachts unter anderem der Steuerhinterziehung durchsuchte.

Merkwürdige Stille herrschte nach Bekanntwerden der Nachricht im Deutschen Bundestag. Ein bleicher FDP-Chef Guido Westerwelle verlas ein dünnes Statement. Fast im Schockzustand führten die Parlamentarier zunächst ihre Beratungen fort, dann gab es doch eine Schweigeminute. Leicht macht es sich da, wer das zynisch nennt: Erst heben die Volksvertreter einstimmig die Immunität einer der ihren auf, dann betrauern sie seinen Tod. Ein anderer Eindruck war bestimmend: Bei einigen Volksvertretern wurden die Stimmen ganz leise, weil sie plötzlich von Angst erfüllt waren. Angst davor, was die Politik mit der Realitätswahrnehmung, mit den eigenen Ansprüchen und Werten veranstalten kann, wenn man ihr, wenn man der Macht, dem Wechselspiel mit den Medien und der Pseudo-Wichtigkeit einer prominenten Erscheinung erliegt.

Wenn es denn stimmt, dass Möllemanns ungebremster Fall zusammenhängt mit seinem tiefen politischen Sturz. Die Bestürzung war also echt: Eine dunkle Ahnung stieg auf, dass Möllemann womöglich zuletzt wirklich jedes Mittel recht war, um in der Inszenierung Politik einen vorderen Bühnenplatz zu behaupten. Was ist los mit uns – so war in den Blicken zu lesen – wenn es einer von uns nicht verwinden kann, aus dem Ensemble ausgestoßen zu werden?

Ein Bild aus letzter Zeit zeigt Möllemann in einigen Zeitungen am Freitag. Er sitzt in der letzten Reihe des Bundestages, als fraktionsloser Abgeordneter abgeschoben ins politische Nichts, die Reihen vor ihm leer, als wollte man Abstand halten von ihm. Der Blick geht ins Leere, es ist einer seiner letzten Bundestagssitzungen. Am Donnerstag, als der Tod des Jürgen W. Möllemann schon einige Stunden bekannt ist, liegen auf diesem Sitz ein paar Blumen. Draußen im Foyer beteuern die Kollegen aller Fraktionen, dass sie sich mit dem Politiker Möllemann gestritten hätten, den Menschen aber bedauerten. Und bei einigen klingt das so, als ob sie daran zweifelten, dass es da noch einen Unterschied gab zwischen dem Menschen und dem Politiker. Und sie klingen so, als fürchteten sie sich davor.