1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kriegsopfer in Gaza

Tania Krämer11. Oktober 2014

Während des jüngsten Gaza-Krieges wurden rund 20.000 Häuser zerstört. Teile des Küstenstreifens sehen aus wie eine Mondlandschaft. Fünf palästinensische Familien berichten von ihrem Schicksal.

https://p.dw.com/p/1DSzp
Zerstörung im Gaza-Streifen
Bild: DW/S. al Farra

Sirham Tanira, 26, ihre Tochter Jodi and ihr Ehemann Ahmad Tanira, 30

Die Familie hat einem Hochhaus im Zentrum von Gaza-Stadt gewohnt, das wenige Tage vor Kriegsende komplett von einem israelischen Luftangriff zerstört wurde. Sie leben jetzt in einer kleinen Mietwohnung mit Verwandten in der Nachbarschaft.

Sirhan: "Wir haben die Grundstückspapiere von unserem Land in Ashkelon (heutiges Israel) gefunden, von dem unsere Familie 1948 fliehen musste. Es ist datiert von 1943. Das haben wir nach dem Krieg unter den Trümmern gefunden. Aber unsere eigenen wichtigen Dokumente sind noch immer irgendwo unter den Trümmern, und wir haben weder Geburtsurkunden und Pässe finden können. Auch unsere (Personal)-Ausweise sind weg. Alles ist weg. Ich bin noch immer am Boden zerstört. Irgendwie können wir noch immer nicht begreifen, was passiert ist. Jeden Tag, wenn ich etwas vermisse, wenn ich etwas nicht finden kann, dann werde ich daran erinnert, das ich mal ein Zuhause hatte mit meinen Sachen und eine Privatsphäre. Aber jetzt ist alles weg. Wir müssen abwarten, wie sich die politische Situation entwickelt. Erst dann wird klar sein, wie unsere Zukunft aussehen wird. Denn alles hängt davon ab."

Sirham Tanira, Tochter Jodi und Ehemann Ahmad C: Tanja Krämer
Bild: DW/T. Krämer

Ahmed: "Wir sind momentan, nach dem Krieg, in einer sehr gespannten Erwartung. Wird es einen Wiederaufbau geben oder nicht? Das ist für uns wichtig, denn unser Leben ist eng damit verbunden. Wir wollen so schnell wie möglich in unser altes Zuhause. Ich bin jetzt 30 Jahre alt. Und jedes Mal, wenn wir sagen, die Zukunft wird besser, dann wird es leider immer schlimmer. Ich bin ein friedlicher Mensch, ich gehöre keiner bestimmten politischen Fraktion an und ich hätte nie gedacht, das uns dies passieren würde, dass unser Haus einfach weggebombt wird. Selbst ein friedfertiger Mensch wie ich hat hier keinen Platz mehr. Und die Zukunft in Gaza ist düster, es ist bedrückend. Und jetzt, würde ich sagen, ist unsere Zukunft eng verknüpft mit dem, was auf der Wiederaufbau-Konferenz in Kairo passiert. Das ist die Zukunft in Gaza. Man ist immer abhängig von der Politik. Wenn es in der Politik gut läuft, ist unsere Zukunft in Ordnung, wenn das politische Geschehen schlecht geht, dann ist auch deine Zukunft dahin."


Mohammed Ali, 23, Ingenieur, arbeitslos, Shejai'a (Vorort im Osten von Gaza-Stadt)

Das Haus von Mohammeds Familie in Shejai'a wurde zerstört. Heute lebt er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einer Mietwohnung in Gaza-Stadt.

Mohammed Ali in seinem zerstörten Haus C: Tania Krämer
Bild: DW/T. Krämer

Mohammed: "Ich habe nur meine Hose und mein Hemd mitgenommen. Das war alles. Und wie man hier sehen kann, diese Zerstörung überall, das Bild hier sagt doch alles, man muss da gar nicht darüber reden. So sieht es auch in den Menschen hier aus. Die, die Geld haben und etwas besser gestellt sind, haben Wohnungen gemietet. Die anderen sind in die kaputten Häuser hier zurückgekehrt, haben sie ein wenig ausgebessert, damit sie darin irgendwie leben können. Ich habe auch eine Wohnung gemietet. Dafür zahle ich rund 300 Euro im Monat, ohne Nebenkosten. Dazu kommen die Kosten für die Einrichtung. Im Krieg haben wir alles zurückgelassen. Wir sind ohne Matratzen, Decken oder irgendetwas anderes geflohen. Und jetzt, was wird es kosten, das alles wieder zu kaufen? Bis heute habe ich schon rund 1400 Euro ausgegeben, nur für einen Kühlschrank, eine Waschmaschine und Bettdecken. Was kann ich noch über meine Situation erzählen? Die Leute hier sind am Boden zerstört. Schon bevor der Krieg begann, war die Wirtschaft am Ende. Ich bin Ingenieur und habe seit zwei Jahren nicht gearbeitet. Ich habe seitdem keinen Shekel mehr verdient. Jetzt bin ich auf Hilfe angewiesen. Die Zukunft? Unser Volk ist nicht gerade ein Liebling der internationalen Gemeinschaft oder der Vereinten Nationen. Wieso sollen sie Wiederaufbau leisten, wenn nach zwei oder vier Jahren ein Krieg ausbricht und alles erneut zerstört wird? Wir brauchen eine langfristige Lösung, die Menschen müssen Arbeit haben, Essen und Trinken, und vor allem müssen wir in Sicherheit leben können. An diesem Ort gibt es keinen Schutz.“


Rabia El Kafarna, 37, Beit Hanoun

Rabia lebt mit ihren Kindern in einem Zelt auf den Trümmern ihres zerstörten Hauses in Beit Hanun im Nordosten des Gazastreifens. Ihre Tochter wurde kurz nach Beginn des Krieges geboren.

Rabia El Kafarna mit ihrem Sohn und einem Säugling auf dem Arm C: Tanja Krämer
Bild: DW/T. Krämer

Rabia:"Das einzige, was ich aus den Trümmern gezogen habe, sind Matratzen. Alles andere ist weg. Die Situation ist sehr sehr schwierig. Man sagt uns immer, es wird Hilfe kommen. Aber es kommt nichts. Es hätten schon längst Leute kommen sollen, um uns zu helfen, aber ich habe niemanden hier gesehen. Schau Dir diese Zustände hier an, das ist unsere Situation, hier in diesem Zelt zu sitzen. Es gibt keine sanitären Anlagen, schon das Hände-Waschen ist ein Problem. Es ist jetzt der vierte Monat und die Situation wird nicht besser. Vier Tage nach der Geburt meiner kleinen Tochter mussten wir aus dem Haus fliehen. Ich hatte mein Baby auf dem Arm und rannte. Ich weiss nicht, wie ich das noch lange kann. Mein Sohn geht in die Schule, wie soll er hier in einem Zelt lernen? Mein anderer Sohn ist im Kindergarten. Die Situation ist sehr schwierig. Die Zukunft? Wir wollen leben, aber in ein oder zwei Jahren könnte es wieder Krieg geben. Dann müssen wir wieder von neuem anfangen. Es gibt Leute hier, die haben ihr Haus vom letzten Krieg noch nicht wieder aufgebaut oder sind gerade erst damit fertig geworden. Jetzt ist es wieder zerstört. Was sollen die erst sagen? Ich verlasse mich nur noch auf die Kraft Gottes, er gibt mir Kraft und Trost. Das ist alles, was ich machen kann.“


Mousa Heles, 50, Shejai'a

Mousa Helles lebt mit seiner Familie und seinen sechs Kindern in jenen Räumen seines Hauses, dessen Wände unzerstört blieben. Bis zur zweiten Intifada war er in Israel als Bauarbeiter beschäftigt. Seitdem konnte er keine reguläre Arbeit mehr finden.

Mousa Heles C: Tanja Krämer
Bild: DW/T. Krämer


Mousa: "Es ist für mich unmöglich geworden, in meinem Haus zu leben. Das ist das wichtigste, dass man zu Hause leben kann. Es ist das wichtigste für einen Menschen ein Zuhause zu haben, in dem man sich sicher fühlt. Was will ich von Palästina anderes als ein Zuhause zu haben, in dem ich mit Würde leben kann? So wie die Leute in Polen, Russland oder in Deutschland, wollen wir nicht alle das gleiche? Und wenn man es verliert, was bleibt dann? Kein Leben jedenfalls. Aber so Gott will, wird die Situation besser werden. Von der Regierung des nationalen Konsenses erwarte ich nichts, ich denke nicht, dass daraus etwas Gutes entsteht. Die Situation hier ist sehr schwierig und ärmlich: Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine wirklichen Bedingungen für ein Leben, nicht um ein Prozent. Was soll ich sagen? Und ich entschuldige mich das so zu sagen, aber das ist ein Leben für die Hunde. Das Leben der Straßenhunde ist besser als unseres heute. Und ich weiß nicht, wann und wie ich mein Haus wieder aufbauen kann. Die Israelis erlauben nur bestimmte Grundstoffe, aber Stahl und Zement lassen sie nicht rein. Wie soll man da sein Haus wieder aufbauen oder renovieren? Ich habe auch meinen schönen Garten verloren, die Bäume. Und natürlich ist auch kein Geld da, seit 12 Jahren sitze ich hier ohne Arbeit."

Jamalat El Kafarna, 37 und ihre Mutter Dalal, Beit Hanoun

Die Familie lebt im Erdgeschoss ihres zerstörten Hauses in Beit Hanoun. Jamalat hat an der Islamischen Universität ein Studium in Englischer Literatur abgeschlossen. Arbeit hat er nicht.

Jamalat El Kafarna, und ihre Mutter Dalal C: Tanja Krämer
Bild: DW/T. Krämer


Jamalat: "Ich habe ein paar meiner Bücher gefunden, Hamlet auf Arabisch und Englisch. Ich habe einen Abschluss von der Islamischen Universität in Englischer Literatur. Die Situation hier ist sehr schwierig. Das ist kein Leben. Als wir nach dem Krieg wieder zurückkamen, haben wir all die Zerstörung gesehen. Das Haus ist vollkommen zerstört. Aber weil wir kein Geld haben, können wir auch nirgendwo anders hin und eine andere Wohnung mieten. Deshalb bleiben wir hier, aber nicht die ganze Familie, es ist auch nicht sicher hier. Mein Bruder hat Kinder und will nicht hier wohnen wegen der ganzen Zerstörung. Er sagt, das Haus könne jederzeit einstürzen. Hoffentlich gibt uns die UN etwas Unterstützung. Ich habe keine Arbeit und kann deshalb nicht woanders hinziehen. Ich hoffe, wir bekommen finanzielle Unterstützung, damit wir unser Zuhause wieder aufbauen können."

Dalal: "Die Situation ist schwierig. Ich habe drei Töchter und einen Sohn, und mit mir sind wir fünf Menschen, die hier leben. Ich bin krank, ich habe Diabetes und hohen Blutdruck. Keiner verdient etwas und mein Mann ist tot. Warum ich zurück in dieses zerstörte Haus gegangen bin? Weil ich kein Geld habe, etwas anderes zu mieten. Wir müssen hier in den Trümmern leben. Wir schlafen hier und beten, dass nichts passiert. Es ist gefährlich. Aber wir haben schlimmere Tage gesehen, wir haben den Tod gesehen, der Tod war überall. Seit Juni bis heute sind wir in dieser Situation. Während des Krieges waren wir nicht hier, wir sind erst vor kurzem wiedergekommen, nach der Waffenruhe. Während des Krieges mussten wir fliehen. Ich sage allen, die ein Verantwortungsgefühl haben, jeder, der mit einem Gläubigen fühlt, ob Christ, Druse oder was auch immer, helft uns, seht hin, wie wir hier leben. Der Winter kommt, und man sieht ja, dass wir hier im Freien schlafen. Wir hoffen, dass mit Gottes Hilfe die Dinge besser werden."