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Ein kühler Kopf

Fabian Lieschke2. November 2008

Wenn Obama die Wahl gewinnt, hat er das seinem kühlen Kopf zu verdanken. In einem Land, in dem Hautfarbe noch immer relevant ist, beherrscht er eine Rhetorik, die weder schwarz noch weiß ist. Analyse von Fabian Lieschke.

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Barack Obama (28.10.2008, Quelle: AP)
Obama ist kein "wütender schwarzer Mann". Er begeistert auch das weiße AmerikaBild: AP

Auf der Zielgeraden eines scheinbar ewigen und kräftezehrenden Wahlkampfes würden John McCain und Barack Obama gerne zum Sprint anziehen, um das Rennen endgültig für sich zu entscheiden. Sie können jedoch beide nicht. McCain liegt, den Umfragen zufolge, deutlich zurück und kämpft mittlerweile um Staaten, von denen auszugehen war, sie würden ohne großen Aufwand 'Republican' wählen. Obama hat ein anderes Problem. In einem Land, in dem das Erbe der Sklaverei noch immer virulent ist, bleibt seine Hautfarbe die große Unbekannte.

Er weiß, dass alle positiven Vorzeichen auf seinen Einzug ins Weiße Haus von der Realität dieses immer noch präsenten Traumas eingeholt werden könnten. Dazu gibt es genügend Beispiele in der amerikanischen Politik. Das prominenteste ist der sogenannte "Bradley Effekt". Die Geschichte des schwarzen Kandidaten Tom Bradley, der 1982 zur Wahl zum kalifornischen Gouverneur stand, hängt wie ein Damoklesschwert über Obamas Schicksal. Bradley führte den Umfragen zufolge deutlich. Er verlor jedoch, weil eine große Anzahl weißer Wähler ihre sicher geglaubte Zustimmung zum Vorteil seines weißen Rivalen revidierten. Obwohl die Umstände dieser Geschichte umstritten sind und die große Mehrzahl der Experten einen solchen Effekt ausschließen, ist "race" ein bestimmendes Thema in der Endphase dieses Wahlkampfs.

Obama , kein "wütender, schwarzer Mann"

Obama weiß, dass er nur dann gewinnt, wenn er das weiße Amerika nicht auf die Anklagebank setzt. Während seiner Lehrjahre in Chicagos politischem Milieu hat Obama erfahren, dass seine potentielle Klientel vor allem aus progressiven, weißen Jungwählern besteht. Seither beherrscht Obama eine Rhetorik, die weder schwarz noch weiß ist und stattdessen das Amerika preist, dem er seinen Aufstieg zu verdanken hat.

Von der Brandrede seines geistigen Ziehvaters Jeremiah Wright über Amerikas moralische Verfehlungen distanziert er sich mit einem nuancierten – und jetzt schon als historisch eingeordneten – Vortrag über die Rolle von Rasse im Amerika der Gegenwart. Obama mahnt schwarze Väter zu mehr Verantwortung in der Erziehung ihrer Kinder und hat damit den Zorn des Buergerrechtlers Jesse Jackson auf sich gezogen. Er widersteht den intuitiven Ratschlägen sogenannter Experten, aggressiver auf die mehrdeutigen Charakteristisierungen seines "unamerikanischen" Hintergrundes zu reagieren. Obama weiß, dass er keinesfalls dem Klischee des "angry black man" (wütender, schwarzer Mann) entsprechen darf. Denn so nehmen viele Weiße ihre schwarzen Mitbürger immer noch wahr. Obama glaubt an ein "post-racial America". Er gehört eben nicht der Bürgerrechtler-Generation der sechziger Jahre an, der noch immer die Verwundungen ihres Kampfes gegen die weiße Vorherrschaft anzusehen sind.

Ein zäher Marathon

Auch wenn er von den Schwarzen mit mehr als 95% der Stimmen gewählt werden wird, hat er inzwischen bei allen ethnischen und religiösen Gruppen in den letzten Umfragen so zugelegt, dass er die berechtigte Hoffnung haben darf die Schwarzen als erster aus dem politischen Ghetto heraus zu führen. Und das hat er vor allem seiner überlegenen Wahlkampfstrategie zu verdanken.

Obama wusste vom ersten Tag seiner Kampagne an, dass er keinen Sprint zur Präsidentschaft hinlegen könnte. Er war auf einen zähen Marathon eingestellt, der – ungeachtet jeder Umfrage – erst am Wahltag enden würde. Dass er so weit gekommen ist, verdankt er seiner Begeisterungsfähigkeit und Amerikas Willen zum Wandel. Dass er diese Wahl gewinnen kann, verdankt er seinem kühlen Kopf.