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"Ein Kurswechsel wäre falsch"

Das Gespräch führte Judith Hartl30. Juli 2005

Fünf Millionen Menschen sind in Deutschland arbeitslos. Ist die SPD mit ihrer Politik gescheitert? Im Interview mit DW-RADIO verteidigt Klaus Brandner, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, die Reformen.

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DW-RADIO: Herr Brandner, die SPD-Wähler sind vor allem auch deshalb frustriert, weil die Arbeitslosenzahlen einfach nicht sinken wollen. Wir stehen zurzeit etwa bei fünf Millionen. Ist es da noch realistisch zu glauben, man kommt da wieder runter, oder müssen wir uns einfach an diese furchtbaren Zahlen gewöhnen?

Klaus Brandner: Nein, wir dürfen uns an die Zahlen nicht gewöhnen, wir dürfen auch nicht kapitulieren vor den Herausforderungen. Dass das ein langer, steiniger Weg sein wird, davon bin ich überzeugt. Aber wir sehen, dass es auch in anderen, vergleichbaren Ländern gelungen ist, die Arbeitslosigkeit zurück zu drängen. Wir sind auf diesem Gebiet im Verhältnis zu diesen Ländern, die eine deutlich niedrigere Arbeitslosigkeit haben, viel später dran. Und das ist eigentlich ja das Fatale, dass für diesen Prozess, insbesondere die CDU und die FDP die Verantwortung mit trägt, weil sie in den 1990er Jahren diesen Reformprozess eben nicht aufgegriffen hat, und die Situation deutscher Einheit einfach dazu geführt hat, dass man diesen Prozess einfach zudeckt und verdeckt.

Aber die Deutschen wollen ja scheinbar diesen Reformprozess nicht mitmachen. Ihnen laufen die Wähler weg.

Ja, vielleicht ist man noch nicht so weit und vielleicht muss man noch härtere Erfahrungen machen, aber dann will ich ganz offen sagen, dann muss man sich auch damit abfinden. Ich finde, es wäre für die SPD fatal, wenn man meint, man müsste jetzt einen Kurswechsel vornehmen. Man muss die Sensibilität haben, da, wo es Ungerechtigkeiten gibt, dass man die Kraft hat, da zu korrigieren und neu zu justieren, aber ich würde von einem Kurswechsel dringend abraten. Ich halte überhaupt nichts davon. Dieses Land ist ja im Kern stark. Es leidet zurzeit unter totaler Verunsicherung, es leidet auch darunter, dass zu viele dieses Land schlecht reden. Ich finde, man muss auf die positiven Fakten setzen. Und im Kern sind die Menschen auch dazu bereit, dies anzunehmen.

Wäre es vielleicht besser gewesen, Schröder hätte doch noch das Jahr bis zum regulären Termin der Bundestagswahlen abgewartet, bis vielleicht diese Reformen doch gegriffen hätten, bis man gemerkt hätte: es tut sich doch etwas?

Der Blick zurück ist sicherlich wichtig, aber zum jetzigen Zeitpunkt und aus meiner Sicht viel zu verfrüht. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung getroffen ist, sich für Neuwahlen auszusprechen, da war es aus meiner Sicht gut nachvollziehbar, weil man auch vor der Alternative stand, dass bei der Situation, wie der Bundesrat sich verhalten hat und verhält, dass man unter diesem Gesichtspunkt als "lahme Ente" erscheint. Und die Menschen in diesem Land haben nicht differenziert, nicht genügend differenziert. Die haben gesagt: Wir haben eine Regierung gewählt, und wir erwarten von dieser Regierung, dass sie auch regiert. Die Einsicht, welche Rolle der Bundesrat dabei spielt, ist noch nicht flächendeckend vorhanden, aber letztlich ist es so, dass dieser fünf Millionen-Schock zu Beginn des Jahres uns ganz erheblich zurück geworfen hat.

So, wie es zurzeit aussieht, wird die Union höchstwahrscheinlich die Lorbeeren ernten, die Rot-Grün, könnte man sagen, gesät hat. Jetzt hat die Union in ihrem Wahlkampfprogramm aufgelistet, wie sie Deutschland arbeitsmarkttechnisch wieder voranbringen möchte - Stichwort: "Lockerung des Kündigungsschutzes" oder "Flexibilisierung der Tarifverträge". Was halten Sie davon?

Schlichtweg nichts. Die Veränderung des Kündigungsschutzes führt nicht zu zusätzlichen Neueinstellungen. Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass ein erhöhter Kündigungsschutz eine Einstellungsbremse ist. Das ist kein taugliches Mittel. Zur Frage "Flexibilisierung der Tarifverträge": Hier wird völlig verkannt, dass wir etwa 60.000 Tarifverträge in Deutschland haben mit unterschiedlichsten Bedingungen, mit einem unheimlich hohen Flexibilitätsgrad. Wir haben differenzierte Arbeitszeiten in diesem Land, so dass man unter dem Gesichtspunkt keine Regelung benötigt, die den Tarifvertrag entwertet, indem auf betrieblicher Ebene die tarifvertraglichen Regelungen durch Mehrheitseinscheidung außer Kraft gesetzt werden können.

Jetzt haben Sie als arbeitsmarktpolitischer Experte, als Wirtschaftsexperte der SPD hinter dem Minister sicherlich eine ganz wichtige Position im Wahlkampf. Wie werden Sie Ihren Wahlkampf machen?

Ich werde im Wahlkampf deutlich machen, dass wir insgesamt gesehen ein geschlossenes Konzept haben. Das heißt: Wie wollen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen? Und das bedeutet schon, dass wir mehrere Faktoren angegangen sind. Beim Arbeitsmarkt habe ich das deutlich gemacht: schnellere Vermittlung, bessere Vermittlung, passgenaue Vermittlung. Also nicht ellenlange Maßnahmen, in denen Teilnehmer geparkt waren, sondern auf schnelle Integration setzen. Das ist ein Bereich. Der zweite Bereich ist, dass wir die Wachstumsgröße stärken müssen und die Möglichkeit von Existenzgründungen vorantreiben müssen. Was langfristiger gemacht werden muss ist, dass die Investitionen, die vorhanden sind, die Gelder, die genutzt werden, vorrangig in den Bereich von Forschung, Bildung und Wissenschaft, insbesondere in die Bildung unserer Kinder gehen müssen, weil die Voraussetzungen für den Arbeitsmarkt der Zukunft immer so sein werden, dass dazu eine hohe Qualifikation und ein hohes Wissen einfach Voraussetzung ist.