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"Ein Koloss auf tönernen Füssen"

18. September 2003

- Das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen hat Probleme

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Warschau, 18.09.2003. NEWSWEEK POLSKA, poln.

Auf dem Platz, auf dem ein futuristisches neunstöckiges Gebäude stehen sollte (...), herrscht jetzt Totenstille. In der Ferne sieht man eine kahle Betonkonstruktion. So sieht schon seit einem Jahr der Bau des neuen Sitzes des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens (TVP) aus. Es sollte ein Gebäude sein, das die Macht des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und die Managerqualitäten seines Chefs symbolisieren sollte. Hier wird aber nur an den Verfall erinnert.

Das polnische öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein Koloss auf tönernen Füssen. So war es in den letzten zehn Jahren und so ist es geblieben. Aber es gibt immer weniger Zuschauer, immer weniger Werbeauftraggeber und immer weniger Geld. Für Prämien für die Chefs, auch für die unfähigen, reicht das Geld aber immer noch aus

Als im Mai letzen Jahres TVP-Chef Robert Kwiatkowski vom Fernsehrat für eine weitere Amtszeit gewählt wurde, behauptete man, dass das Fernsehen unter seiner Leitung aufgeblüht sei. Als Beweis dafür wurde die Auszeichnung der Europäischen Rundfunkunion (EUN) genannt. Kwiatkowski selbst behauptete, "sein" Fernsehsender sei von dem internationalen Gremium als der beste öffentlich-rechtliche Sender in Europa ausgezeichnet worden. Die Europäische Rundfunkunion stellte aber sehr schnell klar, dass es sich dabei nicht um eine Auszeichnung, sondern lediglich um eine Anerkennung für hohe Zuschauerquoten und finanzielle Stabilität handele. Heute wird es jedoch genau sichtbar, dass sogar diese Anerkennung viel zu früh ausgesprochen wurde.

Im Jahr 2003 werden die Werbeeinnahmen des Senders um 40 Millionen Zloty (etwa 10 Millionen Euro) sinken (von 922 Millionen Zloty /etwa 234,5 Millionen Euro/ im Jahr 2002 auf etwa 882 Millionen Zloty /etwa 220 Millionen Euro/ in diesem Jahr) d.h. um fünf Prozent. Zum Vergleich: In derselben Zeit werden die Einnahmen der Privatsender steigen. Der Fernsehsender TVP zum Beispiel verbuchte im ersten Halbjahr d.J. einen 16,8prozentigen Zuwachs seiner Einnahmen und zwar hauptsächlich durch Werbeaufträge.

Warum aber verliert das Polnische Fernsehen Werbeaufträge? Weil das Fernsehen für die Zuschauer, an die sich die Werbespots richten, an Attraktivität verliert. Dabei handelt es sich vor allem um Personen zwischen dem 16. und dem 49. Lebensjahr, die in Städten mit über 100 000 Einwohnern leben.

Aus Umfragen des Instituts OBOP geht hervor, dass das Erste Programm des Polnischen Fernsehens im Jahre 1998 von 22,31 Prozent Menschen aus dieser Zielgruppe gesehen wurde. Im Jahr 2002 verminderte sich ihre Zahl auf lediglich 19,49 Prozent. In dieser Zeit erhöhte sich jedoch die Zuschauerquote des Senders TVN um das Doppelte, d.h. von 8,73 Prozent auf 17,82 Prozent.

Zum ersten Mal seit Jahren wurde die Leitung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (TVP) gezwungen, zuzugeben, dass der Sender Probleme hat. Wojciech Karbowski, Verwaltungschef des Fernsehens, offenbarte, dass der Bau des neuen Sitzes von TVP mehr kosten wird, als ursprünglich geplant. Unsere Recherchen ergaben, dass die Kosten zwei Mal höher ausfallen werden. Das ist um so schockierender, da die Bauarbeiten seit einem Jahr praktisch nicht fortgesetzt wurden.

Als man sich 1997 für das architektonische Projekt entschied, sprach man von Kosten in Höhe von 46 Millionen Zloty (etwa 4,6 Millionen Euro). Der Bauauftrag wurde infolge eines internen Auswahlverfahrens an die Firma PIA Piasecki vergeben. Das neue Gebäude sollte im Oktober 2002 fertig gestellt werden. Die Baufirma bekam jedoch schon im Juni ernsthafte finanzielle Probleme und im November musste sie Insolvenz anmelden. Seit dieser Zeit werden fast keine Arbeiten mehr auf dem Bau vorgenommen. Anstatt schleunigst nach einem neuen Bauträger zu suchen, veranstaltet das Fernsehen Ausschreibungen, um Einzelaufträge zu vergeben und nicht für einen schlüsselfertigen Bau (was nach Ansicht von Experten, mit denen "Newsweek" gesprochen hat, die Kosten senken würde). Bisher ist aber nur eine einzige Entscheidung bei diesen Ausschreibungen gefallen.

Auf dem Bau geschieht nichts und das Fernsehen verliert Millionen. Allein die Kosten der Anmietung der Werbebüros (auch sie sollten in dem Gebäude untergebracht sein) kostet eine Million Zloty (etwa 250 000 Euro) im Jahr.

Trotz der mehrmonatigen Verspätung und der finanziellen Verluste hat sich Kwiatkowski nichts vorzuwerfen: "Ich habe ihm nur eine einzige Frage gesellt, nämlich die, ob er der Meinung sei, dass der Vorstand in allen Phasen des Baues richtig reagiert hat?‘ Diese Frage wurde mit ‚Ja‘ beantwortet", erklärt Tadeusz Kowalski, Mitglied des Fernsehrates des Polnischen Fernsehens. (Sta)