1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein historischer Einschnitt

Heinrich Bergstresser12. März 2003

Die US-Regierung will auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats Krieg gegen den Irak führen. Sollte sie diese Ankündigung wahr machen, würde dies der UNO großen Schaden zufügen, meint Heinrich Bergstresser.

https://p.dw.com/p/3N4t

Mit Superlativen und historisch zu nennenden Ereignissen muss man in unserer schnelllebigen Welt äußerst sparsam umgehen, will man sich nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen. Was sich aber in diesen Tagen und Stunden auf der Weltbühne abspielt, ist das Vorspiel für einen politischen Showdown, der innerhalb weniger Tage, spätestens aber innerhalb weniger Wochen einen welthistorischen Einschnitt markiert.

Diese Einschnitte geschehen - genau betrachtet - nur selten, sind dafür aber um so bedeutender. Dabei ist die Frage Krieg oder nicht Krieg gegen den Irak nur der Aufhänger für eine viel tiefer und weiter gehende Frage: Wie gedenken die Weltgemeinschaft und die sie konstituierenden Elemente - Staaten, Regierungen, Organisationen und schließlich die Menschen selbst - in Zukunft miteinander umzugehen und Konfliktsituationen zu lösen?

Gegensatz

Zwei Entwürfe stehen zur Entscheidung an: Die Errungenschaften der zivilisatorischen Entwicklung, ein Mindestmaß an Freiheit und Stabilität mittels Rechtsbeziehungen, also Verträgen, weiterzuentwickeln oder zu jeder Zeit an jedem Ort das Eigeninteresse absolut zu setzen und nach Bedarf auch umzusetzen.

Der erste Entwurf entspricht den Vorstellungen des "Alten Europa" und der überwältigenden Mehrheit der UNO. Der zweite Entwurf entstammt der amtierenden US-Administration unter Präsident George W. Bush, ist aber seit Bestehen der Weltorganisation in den USA unterschwellig immer vorhanden gewesen.

Erstarrte Strukturen

Auch wenn es spöttisch oder zynisch klingen mag, es ist sehr ernst gemeint: Den USA sei Dank, mit ihrer Haltung eine Klärung herbeiführen zu wollen, die Grundsatzcharakter besitzt, selbst wenn diese Haltung auf einem zunehmenden Realitätsverlust basiert. Denn innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft ist es nicht grundsätzlich anders, als im Zusammenleben von Menschen. Klärung löst erstarrte Strukturen auf, entspannt und eröffnet neue Möglichkeiten, Wege der Verständigung zu suchen und vielleicht sogar zu finden. Auf jeden Fall aber kann Zeit gewonnen werden, über einen Schritt nachzudenken, der zwar ein Unrechtsregime vernichtet, dessen Wirkung aber auch für die USA selbst unkalkulierbar bleibt.

Lex Americana

Die Regierung der USA steht vor diesem Schritt, und an dieser Stelle sei den Vetomächten Frankreich und Russland für ihre Bereitschaft gedankt, die USA zu zwingen, nochmals über diesen Schritt und seine möglichen Folgen für die Weltgemeinschaft nachzudenken. Denn dieser Schritt steht in keinem Verhältnis zum angeblich Nutzen, Saddam Hussein zu eliminieren. Vielmehr soll er in letzter Konsequenz nur dazu dienen, eine Lex Americana zu errichten. Doch diese Vorstellung ist bereits jetzt weitgehend im Keim erstickt, und täglich erheben sich mehr Stimmen aus der US-Intelligenzia und sagen ihrer Regierung, dass die Weltgemeinschaft eine Hegemonialmacht nicht duldet.

Wie einsam es um die US-Administration zu werden droht, unterstreichen die Anstrengungen, die schwächsten Glieder auf unserem Globus, die drei nicht-ständigen afrikanischen Mitglieder im Sicherheitsrat, mit allen Mitteln auf US-Kurs zu trimmen. Es ist die Krönung der Absurdität, angesichts der bevorstehenden historischen Grundsatzentscheidung, an der die Veto-Macht Frankreich strategisch geschickt mitgewirkt hat.