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Ein Hauch von Gorleben - in Japan

30. März 2011

Vor gut 20 Jahren lernte Masako Sawai in Deutschland die Anti-Atom-Bewegung kennen. Ihre Erfahrungen will sie nun an ihre neuerdings interessierten Landsleuten weitergeben, hat sie DW-Reporterin Silke Ballweg erzählt.

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Demonstrant mit Gasmaske und Plakat in Tokio (Foto: AP)
Zuwachs für die Anti-Atom-Bewegung in Japan: Demonstration in Tokio nach der KatastropheBild: dapd

Im Starbucks-Cafe an der Shibuya Crossing in Tokio ist alles wie immer: Die Kunden stehen ordentlich in einer Schlange vor der Theke und warten darauf, ihre Bestellung abgeben zu können. Sobald ein Capuccino oder Latte Macchiato fertig ist, wird der Becher dem Kunden mit beiden Händen und einer angedeuteten kleinen Verbeugung überreicht. Dass rund 300 Kilometer weiter nördlich Arbeiter in Fukushima gegen einen drohenden Atom-Gau kämpfen, davon ist zumindest hier nichts zu merken. Die Teenager plaudern mit ihren Freunden oder spielen während des Wartens mit ihren Handys, von denen Manga-Figuren oder kleine Bärchen baumeln.

Aber nicht alle in Tokio lässt die drohende Nukleargefahr so kalt. Wenige U-Bahn-Stationen entfernt, beim "Citizen's Nuclear Information Center" (CNIC) stehen einige Mitarbeiter um einen Computermonitor herum. Auf dem Internet-Portal "youtube" schauen sie sich Bilder der Anti-Atomkraft-Demonstration an, die am vergangenen Wochenende in der japanischen Hauptstadt stattfand. Die Atomkraftgegner sind mehr als zufrieden, denn während früher nur 30 Personen bei den Demos mitmachten, kamen jetzt immerhin 1200 Japaner zusammen.

Eine Reise mit Folgen

Die japanische Anti-AKW-Aktivistin Masako Sawai (Foto: Silke Ballweg / DW)
Die japanische Anti-AKW-Aktivistin Masako SawaiBild: DW

Die 59 Jahre alte Masako Sawai arbeitet schon seit 1991 für die Tokioter Nichtregierungsorganisation. Vor gut dreißig Jahren hat sie Deutsch studiert und war auch schon mehrmals in Deutschland. Normalerweise schwärmen Japaner von Heidelberg oder München, wenn sie an Deutschland denken. Nicht so Masako Sawai: Es sind Wackersdorf und Gorleben, die sie bei jedem Aufenthalt besucht, zwei Orte, die in der Bundesrepublik untrennbar mit der deutschen Anti-Atom-Bewegung verbunden sind.

1989 flog Sawai zum ersten Mal nach Deutschland. Eigentlich aus purem Zufall, erinnert sie sich. Denn ursprünglich wollte der Gründer der Organisation "Citizen's Nuclear Information Center" zu einer Veranstaltung nach Wackersdorf reisen. Dann aber musste er absagen. "Und weil ich ein bisschen Deutsch konnte, hat er gefragt, ob ich nicht nach Deutschland fliegen wolle. Also bin ich nach Wackersdorf gefahren und dann weiter nach Gorleben." Später fuhr Masako Sawai außerdem noch nach Berlin. Eine Reise, die ihr bis heute im Gedächtnis ist, nicht zuletzt aufgrund eines ganz besonderen Souvenirs. "Im Zug wurde ich von DDR-Soldaten kontrolliert, die haben mir damals eine Karte ausgestellt. Diese Karte habe ich immer aufbewahrt."

Betende Menschen (Foto: AP)
Tiefe Betroffenheit in Japan nach der KatastropheBild: AP/Kyodo News

Allein auf weiter Flur

Die Mitglieder des "Citizen's Nuclear Information Center" haben in den vergangenen Jahren einen einsamen Kampf gekämpft. Denn in Japan gab es bislang keine große Anti-AKW-Bewegung. Ein Grund dafür sei, so Masako Sawai, dass das Land kaum eigene Öl- und Gasvorkommen habe. Die Energieunternehmen und die Regierung hätten den Japanern jahrelang erzählt, dass die Atomkraft eine verantwortungsvolle Form der Energiegewinnung sei, denn sie sei sauber und produziere kein Kohlendioxid. Deswegen habe sich auch niemand gegen Atomkraftwerke gewehrt. Erst jetzt - durch die Katastrophe - hätten die Japaner gemerkt, dass das nicht stimme "Der AKW-Betreiber Tepco hat immer behauptet, Japan habe ohne Atomkraftwerke keine Energie. Aber jetzt mussten sie den Strom ausgerechnet wegen des Atomkraftwerks abschalten."

Seit dem Unfall vor mehr als zwei Wochen bimmelt bei den Mitarbeitern des "Citizen's Nuclear Information Center" pausenlos das Telefon. Viele Japaner erkundigen sich nach den Gefahren durch Strahlung und nach den allgemeinen Gefahren der Atomkraft. Japans Anti-AKW-Bewegung findet endlich ein wenig Gehör.

Bittere Genugtuung

Das Büro von CNIC in Tokio (Foto: Silke Ballweg / DW)
Das Büro der Nichtregierungsorganisation CNIC in TokioBild: DW

Bürger, die sich für alles rund um das Thema Atomkraft interessierten - darauf hatten Masako Sawai und ihre Mitstreiter eigentlich seit Jahren gewartet. "In Japan fließt fast alles Geld in die Atomkraft. Erneuerbare Energien hat man dagegen kaum ausprobiert und einfach vernachlässigt", meint die Aktivistin resigniert. Die Gründe dafür liegen für Sawai auf der Hand. Mit Erneuerbaren Energien sei einfach nicht so viel Geld zu verdienen wie mit Atomkraftwerken. "Deswegen hat die Regierung den Unternehmen auch keinen Druck gemacht. In Japan steht das Wohl der Unternehmen immer an erster Stelle, das ist sehr schlecht und rächt sich jetzt."

Masako Sawai ist eine quirlige kleine Japanerin. Ihr langes schwarzes Haar fällt ihr leicht gewellt bis auf die Schulter. Nur vereinzelt ist es von einer grauen Strähne durchdrungen. Als "Chaoten" habe man sie und ihre Mitarbeiter während der vergangenen Jahre betrachtet, erzählt die Aktivistin. Aber nun endlich habe die geschönte Fassade der Atomlobby einen Riss bekommen.

Unabhängige Kontrollen? - Mangelware

Geigerzähler (Foto: Silke Ballweg / DW)
Derzeit in Japan immer dabei: ein GeigerzählerBild: DW

Immer wieder klagt Sawai während des Gesprächs über die enge Verbindung zwischen Industrie und Politik in Japan. Sogar das deutsche Ökoinstitut habe mehrmals vor dieser Verflechtung gewarnt. Letzteres sagt sie mit einer Portion Stolz in der Stimme. "In Japan bekommt zum Beispiel ein Unternehmen wie Toshiba den Auftrag, ein AKW zu bauen. Zusätzlich bekomme Toshiba dann aber auch noch den Auftrag, die Sicherheit eben dieses Atomkraftwerks zu überwachen. Das heißt, sie kontrollieren sich eigentlich selbst." Und diese Tatsache wirke sich - vor diesem Hintergrund wenig überraschend - auch entsprechend auf die Kontrollen aus. "Die Unternehmen verschließen gern mal die Augen, wenn sie einen Fehler oder eine Sicherheitslücke entdecken."

Seit dem Unfall in Fukushima messen die Mitarbeiter vom "Citizen's Nuclear Information Center" die Radioaktivität in Tokio. Die Werte werden anschließend auf der Homepage der Organisation veröffentlicht. Auch jetzt wieder verlässt Sawai mit dem Gerät, das ein wenig an ein Batterieladegerät erinnert, das Büro. Mit jedem Schritt nach draußen wird das Piepsen des Geigerzählers schneller. Was das Gerät zum Piepsen bringt, das ist die Radioaktivität, die von Fukushima nach Tokio geweht wurde.

Autorin: Silke Ballweg
Redaktion: Alexander Freund / Esther Felden