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"Ein guter Mitarbeiter, der dem kommunistischen Polen ergeben ist"

15. August 2002

- Neue Dokumente über die frühere Zusammenarbeit des berühmten deutschen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki mit dem polnischen Staatssicherheitsministerium

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Warschau, 15.08.2002, NEWSWEEK POLSKA, poln.

Marcel Reich-Ranicki, der berühmte Literaturkritiker und Medienstar, der zum Olymp des intellektuellen Lebens in Deutschland gehört, war nach dem Krieg Mitarbeiter des polnischen Staatssicherheitsministeriums (Ministerstwo Bezpieczenstwa Publicznego). Das ist seit 1994 keine Neuigkeit mehr. Damals hatte ein deutscher Journalist einen ehemaligen engen Mitarbeiter von Reich-Ranicki (...) in Neuseeland ausfindig gemacht.

Völlig neu ist in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache, dass es nicht stimmt, was Reich–Ranicki über dieses Thema sagte: Er betonte stets, dass er "ein ausgesprochen schlechter Mitarbeiter war, der niemandem Schaden zugefügt und durch den kein Mensch einen Vorteil hatte".

In Wirklichkeit war er aber ein hervorragender Agent, der große Anerkennung und Lob bei seinen Vorgesetzten fand. Aus seiner Personalakte geht hervor, dass er mehrmals befördert und drei Mal belohnt wurde.

Reich-Ranicki ist Ende 1944 im Alter von 24 Jahren zum Mitarbeiter des Staatssicherheitsministeriums geworden. Er war dort bis zum 28. Januar 1950 tätig. (...)

Die Personalakte von Reich–Ranicki beinhaltet keine konkreten Dokumente über seine operative Arbeit. Es ist eher ein Resümee seiner Tätigkeit. Neue Dokumente wurden aufgrund seiner Beförderungen hinzugefügt. Diese Akte wurde später sehr sorgfältig geführt, und zwar seit dem Zeitpunkt, als er als "verdächtige Person" eingestuft wurde. Zum Inhalt dieser Personalakte gehören u.a. verschiedene Anträge, Lebensläufe, die Verpflichtung zur Zusammenarbeit, Fotos, Dokumente über Beförderungen sowie Beurteilungen und Stellungnahmen seiner Vorgesetzten. Es sind insgesamt 109 Seiten.

Anhand der vergilbten Akten kann ein psychologisches Profil von Reich–Ranicki erstellt werden. Demnach war er ein Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, der mit großem Eifer seiner Tätigkeit nachging. In mindestens acht Beurteilungen wurden die Intelligenz und der Eifer von Reich-Ranicki von seinen Vorgesetzten gelobt. Dort heißt es u.a.: "Ein guter Mitarbeiter, der die Arbeit im Nachrichtendienst liebt und die Psyche eines Agenten kennt, der dem kommunistischen Polen ergeben und politisch zuverlässig ist und sich bewährt hat". (Sta)