1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Mischung machts

14. Juli 2009

Weil das deutsche Wahlsystem zwei verschiedene Möglichkeiten kombiniert, spricht man von einem personalisierten Verhältniswahlrecht. Was bedeutet das?

https://p.dw.com/p/Ioqe
Symbolbidl Überhangmandate 8Foto: DPA)
Manchmal müssen Stühle zusätzlich angeschraubt werdenBild: picture alliance / dpa

Ein nur auf Wahlkreiskandidaten beruhendes Verfahren - wie in Großbritannien - führt zu klaren Mehrheiten. Aber ein Großteil der Stimmen fällt dabei unter den Tisch, kleine und neue Parteien haben so geringere Chancen.

Ein reines Verhältniswahlsystem - wie in Deutschland zuzeiten der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 - erscheint gerechter. Es fördert aber eine Zersplitterung der Parteienlandschaft und führt so oft zu instabilen Regierungen.

Die Fünf-Prozent-Hürde

Symbolfoto 5-Prozent-Hürde (Grafik: DW)
Kleinere Parteien müssen die Fünf-Prozent-Hürde schaffenBild: picture alliance/DW_Grafik

Auch bei der Bundestagswahl am 27. September ist das Verhältnis aller Stimmen entscheidend, es gelten aber Ausnahmen: die Fünf-Prozent-Hürde und die Grundmandatsregel.

Grundsätzlich können nur solche Parteien Abgeordnete in den Bundestag entsenden, die mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen erreichen. Diese Regel ist aufgehoben, wenn eine Partei zwar unter 5 Prozent bleibt, aber in mindestens drei Wahlkreisen den Sieger stellt.

Die damalige PDS erzielte 1994 vier Direktmandate in Ostberliner Wahlkreisen und zog mit 30 Abgeordneten (4 Direktmandate und 26 Listenbewerber) in den Bundestag ein, obwohl sie mit 4,4 Prozent aller Zweitstimmen unter der Fünf-Prozent-Grenze blieb.

Der leidige Überhang

Die Mischung von Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen (Erststimme) und Verhältniswahlrecht über die Partei-Landeslisten (Zweitstimme) wird zum Problem, wenn Parteien generell oder in bestimmten Bundesländern die Wahlkreise dominieren. Dann können sie mehr Bundestagsmandate erringen, als ihnen nach dem Verhältnis der eigentlich entscheidenden Zweitstimmen für die jeweilige Landesliste zustehen würden.

Die im Wahlkreis gewonnenen Mandate können aber nicht aberkannt werden. Diese zusätzlichen, über den Zweitstimmen-Anteil hinausgehenden Mandate, werden "Überhangmandate" genannt. Weil fast nur CDU/CSU und SPD Wahlkreismandate direkt gewinnen, sind die beiden großen Parteien Nutznießer dieser Regel. Das Bundesverfassungsgericht stufte im Jahr 2008 die Regel als verfassungswidrig ein, weil sie den Wählerwillen verzerre. Das Gericht räumte eine Frist bis 2011 ein, um eine gerechtere Lösung zu finden. Dem derzeitigen Bundestag ist es nicht gelungen, noch für die Wahl 2009 eine Änderung zu beschließen.

Verwirrung und Taktik

Für viele deutsche Wähler ist das Mischwahlsystem mit Erst- und Zweitstimme verwirrend. Obwohl die Zweitstimme entscheidet, verführt ihre Bezeichnung zu dem Irrtum, sie sei nur zweitrangig. Ebenfalls irreführend wirkt die Ausrichtung des Wahlkampfes auf die beiden Kanzlerkandidaten von CDU/CSU und SPD. Die präsentieren ihre Spitzenleute oft sogar ohne Nennung der Partei, obwohl allein die Zweitstimmen für die Parteilisten darüber entscheiden, welche Partei das Kanzleramt besetzen kann. Zudem werden die Kanzler im Bundestag stets von Partei-Koalitionen gewählt.

Politisch besonders engagierte Wähler wollen keine ihrer beiden Stimmen verschenken: Mit der Erststimme wählen sie einen der beiden erfolgversprechenden Kandidaten von Union oder SPD. Mit der Zweitstimme wählen sie eine kleinere Partei, zum Beispiel FDP oder Grüne, als mögliche Koalitionspartner der Großen.

Autor: Jochen Vock

Redaktion: Kay-Alexander Scholz