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Ein ganz besonderer Gast

Greta Hamann8. November 2015

"Zusammen schmeckt es besser", findet der Verein "Ich lade Dich ein". Er will Flüchtlinge und Bonner Bürger zusammenbringen. Das Ziel: eine bessere Verständigung. Ein Abend mit Lasagne, Bier und vielen Fragen.

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Abendessen mit Flüchtlingen (Foto: Greta Hamann)
Bild: DW/G. Hamann

Die Käsekruste ist schon leicht trocken, und die Champignons zwischen den Nudelplatten dampfen nicht mehr. Unangerührt liegen die großen Lasagnestücke auf den Tellern. Auch wenn sich Nidal aus Syrien mit seiner Gastgeberin Nina und ihren Freunden heute zum gemeinsamen Abendessen getroffen hat, ist das Essen heute eher nebensächlich. Und mit vollem Mund lässt sich so schwer sprechen.

Gastgeberin Nina und ihre Freunde haben viele Fragen. Und die will Nidal, der bereits seit eineinhalb Jahren in Deutschland lebt, gerne beantworten - auf Deutsch natürlich. "Ich helfe gerne", sagt er und holt eine kleine Europakarte aus seinem Rucksack - sie ist von der Bundeszentrale für politische Bildung. Er breitet die Karte auf dem Tisch aus. Seine Heimat ist so nah, dass sie auf dieser noch abgebildet ist.

"Entweder würde ich getötet oder ich müsste andere Menschen töten"

"Hier ist Homs, hier habe ich studiert", sagt Nidal. Als "das Problem", so bezeichnet er die blutigen Konflikte in seiner Heimat, die Stadt erreichte, zog er zunächst nach Aleppo. Doch mit dem Ende seines Studiums rückte auch die Angst, vom Militär eingezogen zu werden, immer näher. "Mir war klar, wenn ich zum Militär ginge, würde entweder ich getötet oder ich müsste andere Menschen töten. Das wollte ich nicht."

Es folgt eine lange Geschichte über eine noch längere Reise, die Nidal auf sich genommen hat, um nach Europa zu kommen. Zunächst in die Türkei, dann mit dem Flugzeug nach Algerien, von dort über zwölf Stunden durch die Wüste nach Libyen, wo er sich mit einer Gruppe Syrer zunächst mehrere Tage am Stück versteckt hielt. "Wir hatten fast nichts zu essen, nur Käse, 13 Tage lang haben wir Käse gegessen." Dann wurden er und andere Mitglieder seiner Gruppe gefangen genommen und mussten in ein libysches Gefängnis. Über einen Kontakt kamen sie zwei Wochen später wieder heraus.

Tanja und Gastgeberin Nina hören Nidal zu (Foto: Greta Hamann)
Tanja und Gastgeberin Nina sind gebannt von Nidals ErzählungenBild: DW/G. Hamann

Während die Lasagne auf den Tellern langsam weniger wird, erzählt Nidal weiter von Dingen, die man so wohl bei den wenigsten Abendessen zu hören bekommt. Auf einem großen Schiff ging es über das Mittelmeer nach Italien. Weil er ein Mann war, musste er in den dunklen Maschinenraum. Fast 17 Stunden lang. "Ich dachte, okay, ich bin tot." Über einen Monat nachdem er Aleppo verlassen hatte, erreichte er Deutschland. Und zum Glück sei er jetzt in Bonn gelandet, sagt Nidal und lacht wieder.

Nidal engagiert sich in fünf Bonner Vereinen

Warum er sich so sehr darüber freut, nach Bonn gekommen zu sein, wissen seine Gastgeber auch schnell. Obwohl diese selbst alle mit Flüchtlingen arbeiten - sei es im Sportverein oder in der Schule - scheint Nidal besser informiert als alle vier zusammen. In mehreren Vereinen und Gemeinschaften ist er aktiv und zählt sie an seinen Fingern auf: "Pro Familia, JASA Kulturverein, Post-Sportverein, Save Me" - und in der katholischen Thomas-Morus-Kirche hilft er als Übersetzer. Dann empfiehlt er noch das Bonner Begegnungscafé. Alle müssen lachen. Das hätten sie jetzt nicht erwartet, dass ein 29-jähriger Englischlehrer aus Syrien zu ihnen in die Küche kommt und sich fast besser in Bonn auskennt als sie.

Nicht alle Geflüchteten können oder wollen sich so schnell integrieren wie er, das erlebt Nidal häufig im Alltag. Fast täglich ist er unterwegs, um als Dolmetscher zu helfen. "Manche können nur arabisch sprechen", erzählt Nidal. "Und nicht überall sind die Strukturen für Flüchtlinge so gut wie hier in Bonn." Im Moment bringt sich Nidal medizinisches Vokabular bei, damit er auch in diesem Bereich noch besser unterstützen kann.

Abendessen mit Flüchtling Nidal (Foto: Greta Hamann)
"Es war ein toller Abend", resümiert Nidal (2. von links) am Ende des TreffensBild: DW/G. Hamann

Dass er so viel helfen kann, verdankt er seinem eigenen Helfer, betont er immer wieder, seinem Paten. "Ohne ihn wüsste ich gar nichts." Direkt nach seiner Ankunft in Deutschland stellte ihm eine Flüchtlingsinitiative jemanden zur Seite. Nun sind die beiden fast täglich im Kontakt, auch seine Wohnung hat er mit dessen Hilfe gefunden.

Die Beilage zum Nachtisch: noch mehr Fragen

Der Nachtisch - kleine Himbeertörtchen mit Vanilleeis - steht auf dem Tisch. Von Minute zu Minute wird die Stimmung lockerer. Zum Essen kommen die Versammelten wieder erst, als das flüssige Eis schon langsam die Tellerränder erreicht. Zu viele Fragen liegen noch auf den Zungen und wollen raus.

Warum ein Krieg, ausgerechnet in Syrien? Sollte Deutschland militärisch eingreifen? Wieso gibt Assad nicht auf? Werden die Leute, die das Land heute verlassen, eines Tages zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen? Doch eine Antwort bleibt Nidal schuldig: "Ich weiß es nicht", ist alles, was er sagen kann. Es sind Fragen, die sich viele stellen. Doch sie sind für Nina und ihre Freunde nach einem gemeinsamen Abendessen mit Nidal umso drängender geworden.