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Ein Fresser und Weinsäufer

3. Oktober 2015

„Christus hat nie gelacht“, behauptet Jorge von Burgos im Roman „Der Name der Rose“. Dr. Claudia Nieser von der katholischen Kirche fragt nach dem lebensfrohen Christus, der die angenehmen Seiten des Lebens genoss.

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BdT Deutschland Lachendes Mädchen
Bild: picture alliance/ZB

Gehören Sie auch zu den vielen Menschen, die Umberto Ecos berühmten Roman „Der Name der Rose“ gelesen haben? Dann wissen sie, dass das Buch weit mehr ist als ein Kriminalroman, der im finsteren Mittelalter spielt. Man erfährt zum Beispiel viel über die theologischen Streitpunkte der damaligen Zeit. Einer davon betrifft die Frage, ob Jesus jemals gelacht hat.

In der Benediktinerabtei, die Schauplatz des Romans ist, gibt es einen greisen Mönch namens Jorge von Burgos, der die Vorstellung von einem lachenden Jesus abstoßend findet. „Christus hat nie gelacht“, ist er überzeugt. Entsprechend solle sich auch der Mensch des Lachens enthalten: „Das Lachen schüttelt den Körper, entstellt die Gesichtszüge und macht die Menschen dem Affen gleich“1), so Jorge von Burgos.

Diese negative Meinung über das Lachen ist keine Erfindung Umberto Ecos. Es gab bis ins Mittelalter hinein tatsächlich die Ansicht, dass Jesus in seinem ganzen Leben niemals gelacht hat – und dass entsprechend auch die Christen das Lachen vermeiden sollten. Ohne den gelehrten Herren von einst zu nahe treten zu wollen, die mit Sicherheit im wahrsten Sinne des Wortes ernsthafte Absichten verfolgten: Manchmal wundere ich mich, was im Verlauf der Kirchengeschichte alles im Namen Jesu gelehrt werden konnte. Ich wundere mich vor allem dann, wenn Behauptungen über Jesus und seine Botschaft keinen Anhaltspunkt in den Texten der Bibel haben.

Zu Tisch mit Zöllnern und Sündern
Sicher, dass Jesus einmal laut und schallend gelacht hat, ist dort nirgendwo explizit zu lesen. Zu lesen ist aber, dass er Gast bei Festen und Hochzeiten war; zu lesen ist auch, dass er mit Menschen beim Essen zusammensaß, vornehmlich mit solchen Menschen, die in der damaligen Gesellschaft nicht gut angesehen waren – von Zöllnern und Sündern ist die Rede. Soll man sich wirklich vorstellen, dass er bei diesen Anlässen mit todernster Miene am Tisch gesessen hat?

Jesus selbst schildert, wie man in seinem Umfeld über ihn redete. Laut Matthäus-Evangelium sagt er: „Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt; darauf sagen sie: dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder!“ (Mt 11,19). Man missbilligte offenbar, dass Jesus auch die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen verstand, mit Freunden zusammensaß, ein gutes Essen und guten Wein zu schätzen wusste. Ein solches Verhalten passte nach Ansicht vieler Leute nicht zu einem frommen Mann, der von Gott und seinem kommenden Reich sprach, der Wunder wirkte und Kranke heilte. Jorge von Burgos aus dem Roman „Der Name der Rose“ hätte sich wohl in die Reihe der Kritiker eingereiht, wenn er Jesus beim Feiern ertappt hätte...

Leider erlebt man auch heute, dass Religionsvertreter nicht immer ein entspanntes Verhältnis zur leichten, hellen Seite des Daseins haben – man denke nur an die vielen Konflikte rund um das Thema Humor und Religion. Natürlich: Jede Religion ist zunächst eine ernste Angelegenheit, die den ganzen Menschen fordert. Die Religion gibt Auskunft über den Ursprung des Menschen und das Ziel seines Lebens. Sie gibt Werte vor und Normen, die ihn diesem Ziel näher bringen sollen. Doch ebenso wahr ist auch folgendes: Bei all dem geht es den Religionen letztlich um das Glück des Menschen. Sie wollen seinem Leben einen höheren Sinn geben, wollen ihn befreien von der Last, in die kurze Zeit seines Lebens so viel wie möglich hineinpacken zu müssen: so viel Erlebnis wie möglich, so viel Erfolg wie möglich, so viel Selbstverwirklichung wie möglich.

„Mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht“
Daher meine ich: Wenn Religion dazu führt, dass Menschen die Freude und die Leichtigkeit abhandenkommen, wenn Religion zu einer Be-Lastung wird und keine Ent-Lastung verschafft, läuft etwas falsch. Jesus, der mit Menschen beim Mahl zusammengesessen hat und deshalb von den besonders Frommen als „Fresser und Weinsäufer“ verspottet wurde, hat dies vorgelebt. Ohne Zweifel stellt das, was er etwa in der Bergpredigt verkündet, den Menschen vor Herausforderungen – man denke nur an die Feindesliebe. Trotzdem: „Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11,30), sagt er über seine Botschaft im Matthäusevangelium. Denn sie ist durchwirkt von der Freude über das kommende Gottesreich.

Übrigens, Jorge von Burgos aus dem Roman „Der Name der Rose“, jener Mann, der den Mönchen seiner Abtei das Lachen verbieten wollte, entpuppt sich als Mörder. Es bekommt dem Menschen offensichtlich nicht gut, wenn er dem Lachen entsagt, wenn er es nicht vermag, sich vor Fröhlichkeit einmal selbst zu vergessen, sich vom Lachen einmal ordentlich durchschütteln zu lassen.


1) Umberto Eco, „Der Name der Rose“, München 1982), S. 167.

Zur Autorin:
Die Theologin und Buchautorin Dr. Claudia Nieser, 1972 in Neunkirchen/Saar geboren, studierte katholische Theologie in Saarbrücken und Trier. Sie absolvierte ein Volontariat beim Saarländischen Rundfunk und arbeitet seit 2001 in der Presse- und Informationsstelle des Erzbistums Paderborn. Mit einer Dissertation über die algerische Schriftstellerin Assia Djebar promovierte sie zum Doktor der Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihren Veröffentlichungen befasst sie sich mit Themen wie dem interreligiösen Dialog, dem Gespräch zwischen Literatur und Theologie sowie zwischen Populärkultur und Religion.

Dr. Claudia Nieser, Paderborn
Dr. Claudia Nieser, PaderbornBild: Privat


Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte, und Alfred Herrmann